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Zeitgeschehen
 

Die problematische Verbindung von WASG und SAV

Friedhelm Grützner; Bremen, April 2005

Der Bericht von Peter Hesse zum Konflikt zwischen dem Bundesvorstand der WASG und der SAV lässt entscheidende Konfliktlinien zwischen beiden Organisationen unbeachtet. Nur am Rande erörtert er den grundsätzlichen Widerspruch zwischen den linkskeynesianisch-sozialreformerischen Zielen der WASG und den Vorstellungen der SAV, welche auf eine revolutio­näre Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft hinauslaufen. Völlig außen vor bleibt in Peter Hesses Beitrag die Resolution der SAV-Bundeskonferenz vom 27.03.05, in der das strategi­sche Konzept des trotzkistischen Entrismus gegenüber der WASG offen entfaltet wird. Seit­dem es trotzkistische Organisationen gibt, versuchen diese in etabliertere Parteien der Arbei­terbewegung einzudringen, um dieselben von innen her aufzurollen und ihren Zwecken dienstbar zu machen. Nach Auskunft des bekannten englischen Historikers Eric Hobsbawm wurde in den 70er und 80er Jahren die Labour Party – neben anderen Ursachen - auch durch das Einsickern trotzkistischer Elemente in den mittleren Führungsbereich ruiniert. Das Ergebnis ist bekannt: Zuerst kam Margret Thatcher – und dann Tony Blair, der in den 90er Jahren eine völlig demoralisierte und ausgezehrte Partei übernahm und umfunktionierte.

Die WASG wurde als Sammlungsbewegung von Vertretern unterschiedlicher politischer Grundpositionen gegründet. Aber gerade Sammlungsbewegungen sind in ihrem Konstituierungsprozess von Sollbruchstellen durchzogen. Diese Sollbruchstellen erfordern einen höchst behutsamen Umgang der Beteiligten untereinander. Sammlungsbewegungen sind nur dann erfolgreich, wenn ein alle Grundpo­sitionen überlappender Konsens zustande kommt, der grundsätzliche Streitthemen (wie bei­spielsweise die "Systemfrage") ausklammert oder durch Formelkompromisse zu überbrücken sucht. Dieser Prozess ist eh schon mühsam. Er wird aber geradezu unmöglich gemacht, wenn ständig in organisierter Form und von außen gesteuert sprachlich abschreckend formulierte Maximalpositionen in die Debatte geworfen werden. Dies wirkt provozie­rend und überfordert Personen, die mit einem doktrinären Marxismus sowieso nichts anzufangen wissen.

Nun hat ja jede Partei am Rande ihre Exoten. Warum sollte dies in der WASG anders sein? Wenn daher einige Vulgärmarxisten mit sektiererischer Vergangenheit unseren linken Flügel bereichern, so müssen wir dies um unseres Sammlungscharakters willen hinnehmen. Unter dieser Prämisse wäre nichts dagegen einzuwenden gewesen, wenn das schlichte WASG-Mitglied Sascha Stanicic in WASG-Publikationen oder auf einer WASG-Website "eine sozialisti­sche Ausrichtung der WASG" fordern, die "Überführung der Schlüsselindustrien und Banken in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung" verlangen und den linkskeynesianisch-sozialreformerischen Ansatz als grundsätzlich verfehlt betrachten würde.

Aber Sascha Stanicic kritisierte unser Programm nicht als schlichtes WASG-Mitglied, sondern als Bundessprechers eines politischen Verbandes, der unabhängig und außerhalb der WASG existiert, und der seine eigenen Organisationsinteressen sowie die der trotzkistischen IV. Internationalen vertritt. Und in dieser Funktion ist seine Sprache gegenüber unserer Par­tei unverschämt und anmaßend. Im Stil eines Oberzensors formuliert Stanicic auf dem SAV-Kongress und auf der SAV-Website: "Es ist gut und richtig ..."; "Es ist nicht gut ..."; "...sollte die neue Partei WASG ..."; "Aufgabe der WASG sollte sein ..." usw. usw. Eine Liliputaneror­ganisation mit 400 Mitgliedern, deren Verankerung im sozi­alen Raum – im Gegensatz zu un­seren Gewerkschaftlern – gleich null ist, entblödet sich nicht, einer mitgliedermäßig (mindestens) zehnmal größeren Partei mit derart herrischen Tönen gegenüberzutreten. Hier stimmen einfach die Proportionen nicht!

Die Spannungen zwischen dem Bundesvorstand der WASG und der SAV sind ja nicht neu. In Köln, Aachen und anderswo sind wegen der SAV-Dominanz schon Leute des gewerkschaftli­chen Lagers aus unserer Partei ausgetreten, und weiterer Zuzug von dort wurde verhindert. Im Klartext: Für unsere Partei wichtige Multiplikatoren im sozialen Raum verlassen die WASG - oder kommen erst gar nicht zu uns - weil gesellschaftlich überhaupt nicht verankerte Sektierer sie fortgraulen. Der Bundesvorstand fasste schließlich anlässlich des Briefes von Klaus Ernst einen Beschluss, der die hier aufgerissenen Konfliktlinien mühsam kitten sollte. Was machte aber daraufhin die SAV in ihrem sektiererischen Hochmut? Politisch völlig instinktlos schlug sie während ihrer "Sozialismustage" auf die ganz dünnen Nahtstellen dieses Vorstandsbe­schlus­ses ein und reagierte schließlich empört, als Joachim Bischoff die voraussehbaren poli­tischen Folgen andeutete. Wie konnten die SAVler politisch nur so dumm sein? Aber für politische Dumm­heit gab es noch nie mildernde Umstände!

Schauen wir uns doch einmal an, welche Funktion die Kleinstorganisation SAV der WASG in ihrem strategischen Konzept nach dem o.g. Beschluss von 27.03.05 zuweist. Unter völliger Verkennung der politischen Realitäten erklären sich diese politischen Zwerge nach dem leni­nistischen Avantgardemodell zur elitären Speerspitze der Arbeiterbewegung: " Im Sinne von Marx und Engels sehen wir uns als >den entschiedensten, immer weitertreiben­den Teil der Arbeiterparteien aller Länder< ." Damit ist aus SAV-Sicht die Funkti­onszuweisung der WASG vorgezeichnet. Am Ausgangspunkt ihrer Überlegungen steht nämlich die Feststellung, dass zur Zeit bei den Lohnabhängigen kein marxistisches Klassenbewusstsein existiert. Deshalb müssten für den "Sturz der kapitalistischen Herrschaft" zunächst die" notwendige(n) Voraussetzung(en)" geschaffen werden, damit die "Arbeiterklasse von einer Klasse >an sich< zu einer Klasse >für sich<" wird. "MarxistInnen" haben dabei eine "doppelte Aufgabe" zu erfüllen 1." Die Kräfte des Marxismus auf(zu)bauen ", (d.h. eine Elite zu bilden) und 2. "gleichzeitigeinen Beitrag zum Neuaufbau der Arbeiterbewegung insgesamt (zu) leisten." (d.h. die Massen zu organisieren).

Im Zuge dieser Doppelstrategie gibt es eine klare Scheidung zwischen den "MarxistInnen" (der "bewussten" Elite) und der "Arbeiterbewegung" (den Massen). Deren jeweiliger "Auf­bau" erfolgt getrennt. In diesem Konzept dient der " Aufbau einer breiten Arbeiterpartei " - wozu die SAV die WASG ausersehen hat – dem "Neuaufbau der Arbeiterbewegung insgesamt", welche (s.o.) von den "MarxistInnen" fürsorglich angeleitet wird, da die "Klasse an sich" noch nicht der "höheren Weihen" des marxistischen Klassenbewusstseins teilhaftig ist und der Belehrung bedarf. "Wir sehen in der gegenwärtigen Situation (sic!!) eine wichtige Aufgabe für MarxistInnen darin, den Aufbau der WASG voran zu treiben und gleichzeitig innerhalb der WASG die Debatte über demokratische Strukturen, eine kämpferische Praxis und eine antikapitalistische und sozialistische Ausrichtung zu führen." Mit diesem Satz wird der Konsens über den Sammlungscharakter der WASG offen aufgekündigt. Sollte die SAV dieses strategische Konzept innerhalb der WASG durchsetzen, so wäre in ihr für gewerkschaftliche Reformisten, Sozialliberale, Christlich-Soziale und sozialstaatlich orientierte Bürgerliche, soweit sie sich nicht einer erst noch zu belehrenden bewusstlosamorphen "Klasse an sich" zuordnen lassen wollen, kein Platz mehr. Die WASG würde dann als Politsekte im trotzkistischen Flohzirkus der IV. Internationale verschwinden. Aber auch das näher liegende Scheitern des entristischen Konzepts macht die Sache nicht viel besser. Aufgrund der sattsam bekannten intransigenten Vorgehensweise von SAVlern in unserer Partei wird es zu völlig unnötigen Konflikten kommen, deren abschreckende Wirkung auf potentielle Mitglieder und Wähler keine Kompensation durch trotzkistische Massen findet, die uns zur Überwindung der 5-%-Hürde verhelfen.

Das zweigleisig angelegte strategisch Vorgehen der SAV (hier die marxistisch "aufgeklärte" Avantgarde und dort die "nurgewerkschaftliche" Massenbasis – all das kann in Lenins Schrift "Was tun?" nachgelesen werden) findet im folgenden Satz seine konsequente Fortsetzung: "Deshalb rufen wir dazu auf, in die WASG einzutre­ten, um eine breite Arbeiterpartei aufzubauen, und in die SAV einzutreten, um eine marxisti­sche Organisation aufzubauen, die sozi­alistische Ideen und Praxis in der Arbeiterklasse verankern kann" (Hervorhebung von mir. F.G.). Diese Passage besagt, dass die SAV nicht unter Zurückstellung weiter­gehender Ambitionen in einer politischen Sammlungsbewegung aufgeht. Sie beansprucht vielmehr für sich eine elitäre Sonderrolle innerhalb und gegenüber der WASG. Zum durchsichtigen Zweck der Kaderbildung fordert sie sogar institutionell verankerte Plattformen in unserer Partei für sich und ihren Anhang. All dies ist für die WASG unter Zugrundelegung ihres Sammlungscharakters und ihres sozialreformerischen Selbstverständnisses unannehmbar und muss daher in aller Schärfe zurückgewiesen werden. Die SAVler müssen sich entscheiden, ob sie als solche auch der WASG angehören, oder ob sie als WASGler nebenher noch Mitglieder der SAV sein wollen. Die Antwort auf diese Frage der Pri­märloyalität ist aus meiner Sicht für ihren weiteren Verbleib in unserer Partei entscheidend! Die WASG kann nur Mit­glieder gebrauchen, die ihr gegenüber primärloyal sind.

Es ist das gute Recht einer jeden außerhalb der WASG stehenden Organisation, unsere Politik und unsere programmatischen Grundlagen zu kritisieren. Aber völlig unakzeptabel ist es, wenn der Bundessprecher einer solchen Organisation einerseits hochoffiziell die sozialreformerischen und linkskeynesianischen Leitlinien unserer Partei verwirft (und nicht nur an einigen Stellen herummäkelt, wie dies Peter Hesse suggeriert), um dann andererseits ebenfalls hochoffiziell zum Masseneintritt in die WASG aufzufordern. Denn dies Verfahren ergibt nur dann einen Sinn, wenn von außen die "Achse der Partei" verändert werden soll. Hierge­gen muss sich die WASG zur Not – und wenn alles gutes Zureden nicht mehr weiter­hilft – auch mit satzungsmäßigen Mitteln wehren.

 

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