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Zeitgeschehen
 

Linksbündnis und politische Moral

Unzeitgemäße Betrachtungen zu einem Wahlbündnis zwischen WASG und PDS

von

Egbert Scheunemann

www.egbert-scheunemann.de

Stand: 20. Juni 2005

Der rasende Zug in Richtung eines Wahlbündnisses zwischen WASG und PDS unter dem Namen „Demokratisch Linke – PDS“ ist wohl nicht mehr aufzuhalten. Ein nahezu animalischer Anpassungsdruck lastet auf allen WASG-Mitgliedern, die dieses Bündnis eigentlich nicht wollen. Reihum hat man Angst, als „Sektierer“ und „Spalter“ der Linken stigmatisiert und marginalisiert zu werden. Die „Karrierechancen“ in der Partei scheinen ein für alle Mal zerstört, wenn man nicht noch in letzter Minute auf den Zug aufspringt. Viele hoffen nur noch auf die Urabstimmung in der WASG, bei der jedes Mitglied in geheimer Wahl, also frei von jedem Gruppendruck und allein nach Maßgabe jener politischen Werte entscheiden kann, die es zur WASG und eben nicht zur PDS geführt haben.

DER Vorwurf gegen die Dissidenten lautet von Seiten der Bündnisbefürworter: Ihr seid euch eurer Verantwortung nicht bewusst. Wenn PDS und WASG getrennt antreten zur Bundestagswahl, werden sie womöglich, ja ziemlich sicher jeweils an der 5-Prozent- Hürde scheitern. Wir Dissidenten wären dann quasi schuld, wenn eine schwarze oder schwarzgelbe Bundesregierung die neoliberale Politik von Rotgrün in noch weit schärferem Maße durchzieht, ohne jeden Widerspruch im Parlament. Wir seien dann quasi schuld am wachsenden Leid von Millionen von Menschen!

Dieser Vorwurf lastet schwer. Allein, er zeugt von schier unfassbarer politischer Naivität. Die Wahrscheinlichkeit, dass fünf bis zehn Ex- oder Noch-WASGler auf der Parlamentsbank der PDS in irgend einer Weise die kommende Politik einer schwarzen oder schwarzgelben Regierung wird bremsen oder gar negieren können, liegt faktisch bei Null.

Der Einzug in den Bundestag ist kein absoluter Wert. Er ist oder wäre EIN Mittel in einem breiten gesellschaftlichen Kampf gegen die neoliberale Hegemonie. Um es so zu sagen: Ein Oskar Lafontaine, der in der Summe 15 Minuten bei „Sabine Christiansen“ vor einem Millionenpublikum zu Wort kommt, ist für diesen breiten gesellschaftlichen Kampf weit wichtiger und effizienter als ein Oskar Lafontaine, dessen Bundestagsrede abends in der „tagesschau“ in einem 15- Sekunden -Spot zusammengefasst wird – wenn überhaupt.

Es wäre für diesen breiten gesellschaftlichen Kampf kein Beinbruch, wenn die WASG nach nur neun Monaten Existenz (22. Januar bis 18. September 2005) nicht gleich beim ersten Anlauf ins Parlament käme. (Die Grünen haben es damals auch nicht gleich geschafft – in den nachfolgenden Jahren zumindest ökologisch aber sehr viel erreicht. Würde die WASG in den nächsten Jahren auf sozialer Ebene ähnlich viel erreichen – es wäre schier der Himmel!) Es käme hingegen einer politischen Katastrophe gleich, wenn das wunderbare Projekt WASG, kaum dass es auf den Weg gebracht wurde, nach so kurzer Zeit in Form einer Westausweitung der PDS enden würde – ein riesiges nicht genutztes Wählerpotenzial zurücklassend: eben jene Wählerinnen und Wähler, die mit gutem Grunde jahrelang die PDS NICHT gewählt haben und zukünftig auch mit Namenszusatz nicht wählen wollen.

Welche ungeheure Kraft ein breites gesellschaftliches Bündnis aller links, sozial und demokratisch orientierten Kräfte entfalten kann, hat sich vor kurzem etwa in Frankreich gezeigt: Die Französische Regierung schaffte im letzten Jahr den Pfingstmontag als arbeitsfreien Feiertag einfach ab – und was machten die Franzosen? Sie gingen größtenteils einfach nicht zur Arbeit! Lasst doch die Regierung beschließen, was sie will, wir machen einfach nicht mit! Das nenne ich wirklichen gesellschaftlichen Widerstand gegen den neoliberalen Amoklauf!

Selbstverständlich muss man befürchten, dass der neoliberale Irrsinn sich unter einer schwarzen und wohl noch mehr unter einer schwarzgelben Regierung in Deutschland noch verschärfen wird. Nur, sicher ist das nicht. Ja sogar eher unwahrscheinlich: Die Gewerkschaften sind in Zukunft endgültig von ihrer Nibelungentreue zur SPD entbunden. Sie können wieder auf die Straße gehen und kämpfen. Die SPD selbst wird eine Nach-Schröder-SPD sein, die schon jetzt massiv zurückrudert in Richtung ihrer verschütteten sozialdemokratischen Grundwerte. Die Grünen werden ebenso von allen Koalitionszwängen befreit sein, speziell, insofern noch vorhanden, ihr linker Flügel. Die PDS wird sich nach Wahlniederlagen in Schwerin und Berlin von ihrer asozialen Realpolitik verabschieden MÜSSEN. Und vor allem eine weiter bestehende WASG, die sich Schritt um Schritt, Landtagswahl um Landtagswahl in Richtung DER linken, sozialen und demokratischen Wahlalternative entwickeln würde, könnte politischer Kristallisationspunkt, könnte parteipolitischer Arm eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses werden aus Ex-Sozialdemokraten, Ex-Grünen, Ex-PDSlern, aktiven Gewerkschaftern, Akteuren aus den sozialen Basisbewegungen (ATTAC, Montagsdemonstranten etc.) oder aus den Sozialverbänden. Nur – dazu muss die WASG WEITER EXISTIEREN!

Was entspricht politischer Moral (und auch einer vernünftigen politischen Strategie und Taktik!) also mehr – die unbedingte Erlangung von Parlamentssitzen unter dem Dach der PDS unter Aufgabe jener politischen Werte, die uns dazu brachten, die WASG aufzubauen und eben NICHT zur PDS zu gehen? Oder die kontinuierliche Weiterentwicklung der WASG in einem möglichst breiten linken, sozialen und demokratischen gesellschaftlichen Umfeld auch auf die Gefahr hin, nicht gleich im nächsten Bundestag ein bis zwei Prozent der Abgeordneten stellen zu dürfen?

Diese Entscheidung muss Jede und Jeder für sich selbst treffen. Guten Gewissens. Menschen in der WASG als „Spalter“ und „Sektierer“ zu denunzieren, die nicht mit der PDS paktieren wollen, zeugt allein von der moralischen Befindlichkeit jener, die sich dieses Vokabulars bedienen. Denn woher stammt dieses Vokabular noch? Wir erinnern uns.

 

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