Paul Kirchhof – nächster Finanzminister?
Hermann Ploppa 17.8.2005
Die Presse bewundert ihn als „kompetenten Fachmann“. CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel präsentiert in ihrem „Kompetenzteam“ den Heidelberger Steuerrechtsprofessor Paul Kirchhof als Finanzexperten und damit auch als möglichen nächsten Bundesfinanzminister. Kirchhof gilt als radikaler Steuer-Reformer, und so beeilte sich Spiegel online, Entwarnung zu geben: es sei unwahrscheinlich, daß Kirchhof tatsächlich Minister unter Merkel werde.
Es ist auf jeden Fall lohnend, sich Kirchhof einmal genauer anzuschauen, denn sein Einfluß auf die Steuerdebatte in Deutschland ist beträchtlich. Er hat z.B. Friedrich Merz die Idee mit der „Steuerklärung in der Größe eines Bierdeckels“ geliefert, die so ungemein populär geworden ist.
Zur Person: Kirchhof wurde 1943 in Osnabrück geboren. Er ist der Sohn eines hochgeehrten Bundesverfassungsrichters. Nach Jura-Studium und Dissertation folgte die 1975 die Professur in Münster. Von 1981 bis 1987 dann Professor in Heidelberg. Zwischen 1987 und 1999 betätigte sich Kirchhof als Richter am Bundesverfassungsgericht, als Spezialist für Steuerfragen. Seit 1999 ist Kirchhof nun wieder Ordinarius an der Universität Heidelberg.
Kirchhof ist viel unterwegs als Propagandist der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (eine Propagandaschmiede und Ideenfabrik der Arbeitgeber der Metall- und Elektrobranche). Zum Dank erhielt er im Jahre 2000 den INSM-eigenen Ludwig-Erhard-Preis. Ein von INSM und Frankfurter Allgemeine Zeitung veranstaltetes Leser-Ranking wählte Kirchhof zusammen mit Friedrich Merz zum „Reformer des Jahres 2003“ („Bremser des Jahres“: natürlich IG Metall-Chef Jürgen Peters).
So bedeutungslos, wie der Spiegel schreibt, kann Kirchhof nicht sein: denn seit dem 28.10.04 sitzt Kirchhof im Aufsichtsrat der Deutschen Bank! Er ersetzt dort den ungemein mächtigen Ulrich Cartellieri. Der hatte sich mit DB-Vorstand Ackermann überworfen. Ackermann kontaktierte die US-Großbank Citigroup, um die DB an die Citigroup zu verkaufen. Cartellieri sträubte sich gegen diesen Ausverkauf. Zweifellos hat Ackermann in Kirchhof keinen mächtigen Gegenspieler vom Format Cartellieris zu befürchten.
Daneben ist Kirchhof ein Propagandist der Katholischen Kirche. Sein unermüdliches, geradezu fanatisches Trommeln für die Werte der Familie, der Frau als gebärender Mutter und für die Privilegierung des Kinderkriegens (170 Euro fürs erste, 300 Euro für jedes weitere Kind) steht nicht nur im Widerspruch zu seinen steuerrechtlichen Vorstellungen. Unermüdlich predigt Kirchhof bei allen möglichen katholischen Gruppierungen, die dem rechtsextremen Laienorden Opus D e i nahestehen, für eine neue deutsche Gebärwut.
Kirchhof ist ein typischer Vertreter der neuen Herrenkaste in Deutschland, die in ihrem Leben niemals Kontakt mit ‚normalen Menschen’ gehabt haben. So berichtet Kirchhof in einer Rede auf dem FDP-Bundesparteitag im Mai 2005, er sei bei einem Sender zu einem Internet-Chat geladen worden. Dort habe eine Teilnehmerin ihm vorgehalten, die Kilometerpauschale ersatzlos zu streichen, sei unsozial, denn die Fahrt zur Arbeit sei Teil des Arbeitsverhältnisses. Ihr entgegnete Kirchhof nach eigener Aussage: abends fahre er von der Arbeit zurück zu Frau und Kindern. Das sei seine Privatsache. Und darum nicht abzugsberechtigt. Punktum. Als Königin Marie-Antoinette mitgeteilt wurde, das Volk hungere, denn es habe kein Brot, antwortete die Monarchin bekanntlich: „Wenn die Leute kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!“
Kirchhofs Steuertheorie:
Die Steuer hat in Deutschland drei Funktionen: erstens, fiskalisch: der Staat muß sich finanzieren. dafür zahlen die Bürger ihre Beiträge. Zweitens, Lenkungsfunktion: gewisse Verhaltensweisen der Bürger sollen befördert oder gedrosselt werden. Die Ökosteuer macht Benzin teurer. Dadurch soll zum Energiesparen angehalten werden. Drittens, die Umverteilung: damit auch die Schwächeren am Gesellschaftsleben teilhaben können und die Reichen nicht zu reich werden, wird Geld umgeschichtet von den Starken zu den Schwachen.
Das ist der Status quo, den Kirchhof abschaffen will. Kirchhof will als einzigen Steuertypus die fiskalische Geldeinnahme erhalten. Lenkungs- und Umverteilungsfunktion hält Kirchhof glatt für verfassungswidrig. Statt 36 Bundessteuern soll es nur noch vier Steuerarten auf Bundesebene geben: Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Erbschaft- und Schenkungsteuer, sowie allgemeine Verbrauchsteuer. Das sog. Kirchhof-Modell wurde im Jahre 2001 dem Bundestagsfinanzausschuß vorgelegt (augenblicklich kann man es nicht von Kirchhofs Website runterladen). Die Bündnisgrüne Christine Scheel, damals Ausschußvorsitzende, war voll des Lobes und empfahl die hundertprozentige Umsetzung. Als Kirchhof seine Ideen in seinem Buch „Der sanfte Verlust der Freiheit“ 2004 popularisierte, waren auch Sozialdemokraten wie Peer Steinbrück begeistert.
Die wesentlichen Ziele Kirchhofs:
- weg mit den Lenkungsnormen im Steuerrecht! Weg mit allen Subventionen!
- Es gibt nur noch eine Kategorie von Einkommen. Soll heißen: Kapitalertrag, Löhne, Mieten etc.: alles wird gleich behandelt;
- Progression, familiengerechte Besteuerung: bis 8.000 Euro Steuerbefreiung, dann von 60% aufsteigender Steuersatz, ab 40.000 Euro Jahresertrag erst volle Besteuerung.
- Auch die Körperschaftsteuer (AGs, GmbHs, KGs) geht in der Einkommensteuer auf.
- Nachgelagerte Besteuerung: nicht mehr die Renteneinzahlung wird besteuert, sondern erst die Rentenauszahlung;
- Vereinfachte Steuererklärung.
Kirchhof gibt die magische Formel aus: mehr als ein Viertel von unseren Einkünften soll der Staat nicht bekommen! Als Bundesverfassungsrichter hatte Kirchhof 1995 Aufsehen erregt durch seinen im Urteil neu geprägten „Halbteilungsgrundsatz“: nie darf der Staat summarisch mehr als die Hälfte der Einkünfte eines Bürgers als Steuer abkassieren. Egal, was ein Bürger an Vermögens-, Erbschafts- und Kapitalsteueraufkommen abzuführen hatte: bei 50% müssen ab sofort die Finanzbeamten aufhören, einzukassieren.
Grundlage für diesen neuen Rechtstatbestand ist eine groteske absichtsvolle Fehlinterpretation des Grundgesetztextes. Dort heißt es: „Eigentum verpflichtet . Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Kirchhof interpretiert den Satz so, als wenn ‚zugleich’ hieße: arithmetisch zu gleichen Teilen, also: Halbe-Halbe. Diese jedem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufende Textauffassung wurde begreiflicherweise von Bundesfinanzhof energisch zurückgewiesen. Der BFH vermag
„der Formulierung zugleich dem allgemeinen Sprachgebrauch als auch dem Wortsinn nach lediglich ein finales, nicht hingegen ein arithmetisches Element im Sinne einer Zuordnung zu rechnerisch etwa gleichen Teilen (50%) zu entnehmen.“
Es ist sehr ungewöhnlich, wenn eine Bundesbehörde die endgültigen Urteile des Bundesverfassungsgerichtes als unsinnig zurückweist.
Wenn die Medien einem möglichen Finanzminister Kirchhof entsprechend Geleitschutz geben, kann er schnell sehr beliebt werden. Denn 118 Steuergesetze und 4.853 Gesetzesauslegungen bringen sowohl Finanzbeamte wie steuerpflichtige Bürger zur Verzweiflung. Wer hier für Vereinfachung sorgt, gewinnt die Sympathien der Wähler, egal wie gerecht oder ungerecht die Straffung ist.
Auch Kirchhofs rhetorischer Feldzug gegen die tausende von steuerbefreienden Ausnahmeregelungen und Verlustvorträge sind absolut populismustauglich.
Und dann läßt Kirchhof auch noch Sprüche fallen, die den unzutreffenden Eindruck sozialer Gerechtigkeit nahelegen:
„Die Steuerhoheit steht immer dann dem deutschen Fiskus zu, wenn das Einkommen auf dem deutschen Markt erzielt, also die hier zu finanzierende rechtliche und ökonomische Infrastruktur genutzt worden ist. Anknüpfungspunkt für die Einkommensteuer ist deshalb nicht formal der Sitz der Firma, sondern der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Betätigung.“
(Kirchhof: „Der sanfte Verlust der Freiheit“ 2004)
Das ist eine längst überfällige Maßnahme gegen Kapital- und Steuerflucht in Steueroasen. Wie Kirchhof diese Maßnahme gegen den Widerstand seiner Sponsoren und Propagandisten der INSM durchsetzen will, ist sein Geheimnis.
Kritik:
Die Verwirklichung von Kirchhofs Vorschlägen würde den Staat weitgehend als Gestaltungsfaktor ausschalten. Die Einkommensquellen wären noch weiter heruntergefahren. Wie Kirchhof mit einem drastisch reduzierten Steuervolumen die von ihm wortreich beklagten 1.3 Billionen Staatsschulden der Bundesrepublik Deutschland herunterfahren will, sagt er nicht.
Die Beseitigung der Lenkungsfunktion durch Steuern wäre eine Katastrophe. Es blieben dem Staat dann nur noch Verbote und Strafen, auszuführen durch die Polizei und Justiz. Gerade die Umweltpolitik stützt sich vornehmlich auf Verhaltenslenkung durch Steuern. Man versucht, Umweltverbrauch und –zerstörung künstlich zu verteuern, um über eine Rentabilitätskalkulation Unternehmer dazu zu bringen, umweltschonende Technologien einzusetzen und dadurch Steuern, also Kosten, zu sparen. Die Alternative wären drakonische Umweltschutzgesetze mit Sanktionen, also Strafen. Das Geschrei der Kartelle und der von ihnen abhängigen Medien über die „Ökodiktatur“ wären vorprogrammiert. Kein Trittin dieser Welt würde das Agitprop-Tommelfeuer der Kartelle politisch überleben.
Und wie soll die Umverteilungsfunktion der Steuern kompensiert werden? Kirchhof fordert, diese Funktionen sollten außerhalb des Steuerbereiches organisiert werden. Das hieße also, neue Behörden – sprich: neue bürokratische Monster; neue Sozialtechniken, denn Millionen Menschen müßten die neuen Umverteilungsmechanismen erst einmal verstehen und einüben. Wenn solche Umstrukturierungen dann von eben den selben Leuten ausgeführt würden, die schon Hartz IV in den Sand gesetzt haben, dann: gute Nacht! Wahrscheinlicher ist, daß die Umverteilungsfunktion des Staates in einem Kirchhof-System schlichtweg abgeschaltet werden würde.
Einordnung in den Zusammenhang:
Ob nun das Kirchhof-Modell oder das nicht minder unsoziale Steuerreformmodell der konkurrierenden „Stiftung Marktwirtschaft/Frankfurter Institut“: das kompensatorische Steuerrecht mit seinen drei Funktionen: Fiskus, Lenkung und Umverteilung wird aus allen Richtungen von unzähligen neoliberalen Stoßtruppen heftig attackiert. Angefangen hat es 1962 mit Milton Friedmans Werk „Capital and Freedom“. Dort wird eine Einheitssteuer für alle Einkommensformen gefordert.
Kirchhof ist in der heutigen globalen Steuerdebatte noch moderat. In den USA wird längst von rechten Think Tanks gefordert, der Staat solle nur noch eine Umsatzsteuer erheben, sonst gar nichts.
Zum einen sollen die Kartelle noch höhere Gewinne machen können. Denn eine Umsatzsteuer belastet hauptsächlich die kleinen Leute. Zum anderen wird der Staat als Gegenmacht der Kartelle noch mehr zusammengestutzt. Seine Aufgaben beschränken sich dann darauf, Rechtssicherheit und polizeiliche Sicherheit in geschäftlich relevanten Zonen des Landes zu garantieren. Eine gestalterische Aufgabe kann der Staat dann nicht mehr wahrnehmen. Er hat auch keine Reserven mehr, die Binnen-Nachfrage durch antizyklische Maßnahmen zu beleben, um Rezessionen zu beenden.
Ob der nächste Bundesfinanzminister nun Kirchhof, Eichel, Stoiber oder Althaus heißen wird: die zukünftige Finanzpolitik wird sich in dem oben beschriebenen Rahmen entfalten.
Bücher von Paul Kirchhof:
„Der Staat als Garant und Gegner der Freiheit“ 2004
„Der sanfte Verlust der Freiheit“ 2004
„Der Staat – eine Erneuerungsaufgabe“ 2005 |