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Zeitgeschehen
 

„Das Gespenst“

Hermann Ploppa

h.ploppa@gmx.de

 

Lange bevor der Bundesvorstand der WASG um die PDS zu werben begann, hatte die PDS-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung bereits den Fahrplan für eine Fusion aus PDS und WASG festgelegt

Wenn wir uns recht erinnern, begann die Debatte über einen gemeinsamen Wahlkampfauftritt von WASG und PDS nach der Entscheidung Gerhard Schröders, die Bundestagswahl bereits im Herbst 2005 stattfinden zu lassen. Anscheinend unter Zeitdruck wurden nunmehr hektische Verhandlungen zwischen PDS- und WASG-Spitze zügig vorangetrieben.

Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, daß die kompletten Handlungsabläufe, deren erstaunte Zaungäste die WASG-Mitglieder sind, bereits in diesem Frühjahr, zu einem Zeitpunkt also, da noch niemand etwas von der unvermuteten Dringlichkeit der Überlegungen ahnte, in einem Artikel der Zeitschrift „Standpunkte“ vorweggenommen worden sind. „Standpunkte“ ist eine Zeitschrift der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die RLS stellt eine PDS-nahe Denkfabrik dar, die amerikanischen sog. „Advocacy Think Tanks“ nachgebildet ist.

In „Standpunkte“ Nr. 6/2005 <Kein Monatsblatt. Veröffentlicht etwa März/April> erschien ein Artikel von Rainer Rilling und Christoph Spehr mit dem Titel: „ Die Wahl 2006, die Linke und der jähe Bedarf an Gespenstern …“

Zusammenfassung vorweg für eilige LeserInnen

Rilling/Spehr stellen fest, daß der Ansehensverlust der Politik auch die „Linken“ in eine Argumentationsnot bringt. Für die Wahl 2006 gibt es keine Alternative zu einem Bündnis von WASG und PDS. Eine der beiden Parteien muß bei der anderen Partei auf der Liste hospitieren. In den Bundestag gewählt, soll das „Linksbündnis“ eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren und die „Linken“ bei Rot/Grün stärken. „Prinzipienfester“ Politikstil wird verworfen. Stattdessen sollen PDS-Regierungsbeteiligungen den Freiraum schaffen für eine anti-neoliberale Politik. WASG und PDS sollen den Wählern das „Trademark“: soziale Gerechtigkeit verkaufen.

In einem Nachfolgeartikel rechtfertigen Rilling/Spehr den autoritären, die öffentliche Kontrolle scheuende Vorgehensweise der Vorstände von WASG und PDS als „Klugheit im Doppelpack“.

Inhaltsangabe

Rilling/Spehr stellen zunächst fest, daß es bislang keine konzentrierte Gegenkraft gegen den Neoliberalismus in Deutschland gibt. Jedoch: „Für die Herausbildung eines politischen Projekts, das es endlich mit der großen Koalition des gesellschaftlichen Ausverkaufs aufnehmen kann, ist das Wahljahr 2006 wichtig. Es wird darüber entscheiden, ob die Linke einen parlamentarischen Arm behält<?>“. (Fettdruck und Fragezeichen H.P.)

Die Bundestagswahl 2006 hat einen grundsätzlich anderen Charakter als alle vorherigen Bundestagswahlen, meinen Rilling/Spehr, und zwar aus vier Gründen:

  • Die vorangeschrittene „Delegitimation der Politik“. Parteipolitiker sind unglaubwürdig in den Augen der Bevölkerung. 50% aller Bürger meinen, Politik könne die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen. Die größte Partei: die Nichtwähler. Die Stammwähler verschwinden. Von dem Ansehensverlust der Politik sind auch Nichtregierungsorganisationen betroffen.
  • Es entspinnt sich ein Lagerwahlkampf (Rot/Grün gegen Schwarz/Gelb), der keine Entsprechung in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen hat.
  • Die politischen Eliten und die Medien sind gegenüber gesellschaftlichem Elend und Leid gleichgültig geworden.
  • Es besteht Unsicherheit über den Fortbestand einer „eigenständigen parteipolitischen Linken“. Gemeint ist die PDS. Als neues Element ist die WASG hinzugetreten. Wenn sie getrennt marschieren, dann geschieht Folgendes: „Eine auf die ostdeutschen Landtage zurückgeworfene PDS und eine im Endeffekt ergebnislose <sic!> angetretene WASG würden das neoliberale Umbauprojekt bis auf weiteres gegen ernsthaften Druck von Links absichern.“

Die Linke kann also 2006 nur verlieren:

  • Zwickmühle : wie sollen wir der „Delegitimation“ begegnen? a) soll eine Ehrenrettung der Politik von den Linken betrieben werden? Das würde den Etablierten in die Hände arbeiten und uns vom „allgemeinen Bewußtsein“ entfremden. b) sagen wir: die da oben machen eh’ was sie wollen; dann fördern wir Apathie.
  • Wie verhält sich die Linke zum Lagerwahlkampf? Die Linke in der „Entscheidungsfalle“: a) wenn wir sagen: Rot/Grün ist das kleinere Übel, sollen wir dann als Bundestagsfraktion ihnen helfen? b) sagen wir: die Lager-Unterschiede sind marginal und wir verhalten uns neutral, dann kommt es zur Großen Koalition. Das würde uns Zugang zu einsichtigen Rot/Grün-Politikern verbauen. Dann wäre Wählen sinnlos.
  • Paradoxe Grundsituation : In der neoliberal gesteuerten Öffentlichkeit müssen gerade Armut und Arbeitslosigkeit herhalten für noch mehr Neoliberalismus. Angesichts dieser manipulierten Vorzeichen geht die Anprangerung des Elends ins Leere. Wenn die Linke eine andere Politik fordert, ist die reflexartige Gegenfrage: wie wollt Ihr das finanzieren? Läßt sich die Linke auf Kategorien wie „Wirtschaftsverträglichkeit“ ein, „...läuft sie Gefahr, selbst als neoliberal angekränkelt abgelehnt zu werden.“ Alte Konzepte aus den Sechzigern neu auflegen? Das „Verharren in paternalistischen, bevormundenden Sozialstaatskonzepten“ hat nach Rilling/Spehr keine Chance.
  • PDS und WASG haben unterschiedliche politische Zugänge, kulturelle Identifikationen und historische Identitäten. Hellseherisch nehmen Rilling/Spehr nunmehr alle Probleme eines gemeinsamen Wahlkampfauftritts vorweg, die der Bundesvorstand der WASG in einem öffentlichen Laborversuch durch Versuch und Irrtum im Anschluß an die NRW-Wahl nachgespielt hat:

„Unter den Bedingungen des deutschen Wahlgesetzes droht dies jedoch in ein Fiasko umzuschlagen, da für eine auf getrennten Listen antretende Linke zweimal unter fünf Prozent im Parlament immer noch Null macht. Eine gleichberechtigte Kooperation ist wahltechnisch jedoch nicht vorgesehen. Eine Liste kann nur von einer Partei eingereicht werden, deren Name dann auch im Listennamen erscheinen muss. Listenverbindungen verschiedener Parteien sind nicht von der 5%-Schranke für jede einzelne Liste entbunden. Während es gegenwärtig für beide Linkskräfte parteipolitisch existenziell ist, ihre Eigenständigkeit und Identität zu wahren, ist dies wahltechnisch nur um den Preis der parlamentarischen Nichtexistenz möglich.“ (Hervorhebung von mir. H.P.)

Warum überhaupt wählen?

Der Politikverdruß der Wähler ist ja berechtigt. Rilling/Spehr beschreiben die Entmachtung der politischen Organe, das Fehlen einer Gestaltungsmacht, die Erpreßbarkeit durch Kapitalflucht. „Die Entleerung der öffentlichen Kassen ist das Scharnier, über das die breite Bevölkerung auf Generationen hinaus in eine Tributpflicht gegenüber Banken und ,Investoren’ gebracht wird.“

Was also tun?

Eine bunte Mischung aus Neoliberal und Keynes-Wohlfahrtstaat geht nicht. Zurück zu Erhards Wohlfahrtstaat geht auch nicht, wegen der Kapitalflucht. Die Kapitalflucht-Zwickmühle hat die Linken im Rot/Grün-Lager zum Verstummen gebracht. Diese Leute müssen von außen Unterstützung bekommen: „Verschiebungen zwischen den beiden Lagern (zwischen Rot/Grün und Schwarz/Gelb H.P.) können sich daher ohne Einwirkung eines zusätzlichen organisatorischen Zentrums jenseits von Rot-grün nicht in eine Veränderung realer Politik umsetzen. Deshalb ist es egal und doch nicht egal, von welchem Lager die nächste Regierung gestellt wird.“

Man muß sich hier notgedrungen auf den „Maklerstil“ des rot/grünen Lagers einstellen: „Es ist problematisch, wenn die Linke Politikstile fordert, die sich vor allem durch ,Konsequenz’, ,Klarheit’ und ,Prinzipientreue’ auszeichnen sollen. Denn sie verbaut sich damit nicht nur mögliche Kooperationen (mit Rot-grün oder mit ,rational operierenden’ gesellschaftlichen Interessengruppen) und mögliche Durchsetzungsformen für ihre Inhalte ... Die Linke kann das Argument vom ,kleineren Übel’ also nicht wegdiskutieren.“

Und plötzlich verfallen Rilling/Spehr in die Sprache von McKinsey: die Imagekrise der SPD steigert Chancen von PDS und WASG, „...Gerechtigkeit neu überzeugend als Trademark (Hervorhebung H.P.) in der Protest- wie der Gestaltungsdimension zu besetzen.“ Offensichtlich mit Blick auf die PDS-Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und vielen Kommunen im Osten plädieren Rilling/Spehr für eine Politik der „Vertrauensbildung als zentraler Modus nachhaltiger politischer Identitätskonstruktion.“ Die PDS setzt dem Neoliberalismus Grenzen, hält Spielräume offen.

Was also soll eine linke Kraft tun, die die Lücke jenseits der Grünen füllen kann?

  • „Die Linke muss die Delegitimierung der Politik positiv aufgreifen und auf ihre materielle Ursache zurückführen, dass es nämlich ohne Wiedergewinnung von Verhandlungsmacht politisch auch nichts wirklich zu entscheiden gibt.“ Dazu noch die „Message“: „Es braucht Schritte, Instrumente und gesellschaftliche Mehrheiten, um etwas gegen den internationalen Verdrängungswettbewerb durch Lohndumping und Sozialabbau zu tun.“ Es geht um „Wiederausstattung der ,commons’ mit finanziellen und materiellen Ressourcen.“ Das ist die „strategische Schlüsseldifferenz zum neoliberalen Lager“.
  • „Die Linke muss sich der Aufgabe stellen, ein neues, massenfähiges politisches Projekt zu begründen.“ Deswegen gemeinsame Kandidatur 2006. Eine gemeinsame Linkspartei soll sodann im Bundestag Rot/Grün durch eine Tolerierung stützen und in einen Dialog mit den rot/grünen Linken treten.

Nachschlag in „Standpunkte“ 8/2005

Zwei Hefte weiter liegt die NRW-Wahl hinter uns, und Rilling/Spehr updaten ihre Spekulationen (unter dem Titel: „Guten Morgen, Gespenst!“) und sind schier außer sich vor Freude:

„WASG und PDS konnten gar nicht anders, als unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen. Fünf Prozent sind das eine. Aber das Gespenst (gemeint ist das Gespenst aus dem Kommunistischen Manifest H.P.) ist das andere. Die Erwartungshaltung, die auf die Vorstände von PDS und WASG drückt, war sofort da. Ein halbes Dutzend Aufrufe, die zu einem gemeinsamen Vorgehen aufforderten und eindringlich verlangten, die historische Chance nicht zu verspielen (auch wir verfassten einen2), füllten sich wie von selbst, geradezu geisterhaft, mit Unterschriften.

Seither sitzt die gesamte linke Öffentlichkeit unsichtbar mit am Verhandlungstisch und räuspert sich vernehmlich, wenn ein gemeinsames Wahlprojekt wieder einmal an technischen Schwierigkeiten und taktischen Organisationsinteressen zu scheitern droht. In unerwartet kurzer Frist stiegen die politischen Kosten eines Scheiterns in solche Höhen, dass es kaum noch riskiert werden konnte ...Ein Gespenst schert sich nicht um 5-Prozent-Hürden, auch wenn es nicht blöde ist. Vor allem aber interessiert sich ein Gespenst nicht für Organisationsgeschichte und nicht für abgesteckte Claims ... Es akzeptiert auch mal Hinterzimmer und geschlossene Verhandlungen im kleinen Kreis. Aber sobald es zur Welt gekommen ist und sich zu bewegen beginnt, drängt es zügig darauf, die Wände einzureißen. Es wird sich nicht vor den Karren einer aus der Not geborenen Koalition der Sitz-Sicherer spannen lassen. Und auch nicht in den engen Brutkasten einer kontrollierten Fusion über die schier endlose Dauer einer Legislaturperiode hinweg – auch das haben die Führungen von PDS und WASG erkannt und noch eine kluge Entscheidung getroffen: 2 Jahre Zeit und nicht mehr, dekretierten sie am Tag, als Michael Stich auf Sylt Alexandra Rikowski heiratete und die Opa-Gang hohe Haftstrafen aufgebrummt bekam. Klugheit im Doppelpack – erstaunlich.“ (Fettdruck H.P.)

Meine Damen und Herren, wir beenden hiermit unsere Geisterstunde. Vergessen Sie nicht, Ihre Antenne zu erden!

 

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