Taler, Taler, du musst wandern...
Von Lothar Großer, Erfurt
im Dezember 2003 lernte ich Helmut Creutz auf einem Vortrag bei Attac, bei denen ich Mitglied bin, kennen. Da war ich im 77. Lebensjahr.
Bis dahin war ich daran gewöhnt, dass man sich Geld nur gegen Zahlung von Zinsen leihen kann und dachte nicht über die Wirkung von Zinseszinsen dabei nach - obwohl ich zu meiner Schulzeit natürlich die Zinsrechnung gelernt habe.
Schon als Kind sangen wir das Kinderlied: "Taler, Taler, du musst wandern" - das Geld hat also in der Wirtschaft für alle Menschen zu wirken. Dabei wird ein solcher Kreislauf durch die Pervertierung des Sinnes des Geldes gestört und über zunehmende Belastungen werden Gefahren und Schäden ausgelöst. Nachdem ich Dank des Buches von Helmut Creutz mehr darüber erfahren habe, begann ich mit Menschen in meinem Umfeld und auch mit in der Politik Tätigen darüber zu sprechen. Dabei machte ich jedoch die Erfahrung, dass man diesem Thema keine Aufmerksamkeit widmen möchte, am wenigsten sind Politiker geneigt, zuzuhören und darüber nachzudenken oder gar zu sprechen.
Ich glaube, ich habe den Grund dafür erkannt: Dieses Wirken des Geldsystems ist äußerst raffiniert eingerichtet: Indem seit Generationen dafür geworben wird: "Lassen sie ihr Geld arbeiten!" haben unendlich viele (kleine und große) Sparer gefallen daran gefunden, dass sich ihr "angelegtes Geld" auf angenehme Art und Weise vermehrt - so ganz von alleine, ohne dass man einen Finger krumm machen muss. Dabei kommt Niemandem in den Sinn - wie mir ein Leben lang ja auch nicht - dass Geld überhaupt nicht "arbeiten" kann. Darüber hinaus sind die Wirkungsmöglichkeiten tatsächlich zum Fürchten: Geld erreicht jeden – und das ohne Vorankündigung – „wes Brot ich ess´, des Lied ich sing´.
Darüber hinaus etwas zu unternehmen – dazu gehört schon sehr viel Mut. Und wer hat den?...
"Arbeit" ist definiert durch "Kraft mal Weg", aber Geld hat weder Kraft noch kann es einen Weg zurücklegen. Mein auf den Rand des Tisches gelegtes Geldstück unternimmt nicht die geringste Anstrengung, den auf den Fußboden gelegten verlockend großen Geldschein zu sich zu nehmen, "mehr aus sich" zu machen! Unbestreitbar: Geld kann nicht arbeiten!
Also: Auf welche Weise wird das "angelegte" Geld "vermehrt"? Man lässt andere Menschen dafür arbeiten. Man lässt sie für sich arbeiten, ohne sie für diese geleistete Arbeit zu bezahlen. Dank der exponentiellen Vermehrung durch Zins und Zinseszins nimmt der für Geld verlangte Anteil an ihrer Arbeit auch noch stetig zu. Und wann kommt dann welches Ende...?
Was ist das? Ist das gerecht oder ist das ungerecht? Ist das Diebstahl oder ist das Betrug? Oder ist es Ausbeutung?
Wenn mein Nachbar zu mir kommt und mir sagt, er habe überraschend Besuch bekommen, aber leider kein Brot vorrätig - dann leihe ich ihm ein Brot, sofern ich genug davon habe und erwarte, dass er mir das geliehene in dieser Menge wieder zurück gibt. Ich käme nie auf den Gedanken, von ihm ein Brot und zwei Scheiben, oder über einen größeren Zeitraum hinweg zwei oder vier oder gar acht oder sechzehn Brote von ihm zurückzuverlangen!
Na ja - wird mancher sagen – Brot kann man ja nicht lange lagern, es verdirbt. Und genau das ist der Grund: Geld ist ein Mittel, das nicht verdirbt. Man kann es lange, sehr lange, gefahrlos und verlustfrei lagern. Es altert nicht. Daraus wurde die Allmacht des Geldes, seine Herrschaft über Menschen durch die Erfindung von Zinsen begründet.
Warum eigentlich muss jemand, der genug Geld besitzt, für das Geld, das er einem anderen Menschen leiht, der es benötigt, mehr Geld zurückverlangen? Entspricht das denn überhaupt den Regeln, nach denen Menschen miteinander umgehen, miteinander leben sollten? Ist uns das Gegenteil nicht seit Menschengedenken in den Religionen wiederholt dringend nahegelegt worden? Warum wohl steht in dem ältesten Buch dieser Erde die über viele Generationen gesammelte menschliche Erfahrung vom Tanz um das goldene Kalb? Wir tanzen aber immer noch und erhöhen sogar noch das Tempo.
Seit ich in späten Lebensjahren diese Kenntnisse bekam, seitdem ich darüber nachdenke und die wirtschaftliche Entwicklung in unseren ostdeutschen Ländern, in der Bundesrepublik und in den Ländern unserer Erde betrachte, wächst meine Besorgnis um die Zukunft meiner Kinder und Enkel, ja um die Menschheit insgesamt!
Geboren in der Weimarer Republik habe ich durch meine Eltern, Verwandten und Bekannten deren schadhaftes Wirken erfahren, das den Nazis zur Macht verhalf, danach deren Diktatur erlebt und diese, sowie auch deren entsetzlichen Krieg und die Gefangenschaft überlebt. Danach erlebte und überlebte ich mit Schäden die Diktatur der Stalinisten in meiner Heimatstadt Erfurt, erlebte wie im Rausch die "Wende" angefüllt mit Hoffnungen und Erwartungen auf ein Leben in gesicherter Umgebung und Zukunft und entdeckte nunmehr, dass ich in der dritten Diktatur lebe: der Diktatur des Geldes! Diese sehe ich als noch viel heimtückischer, viel gefährlicher an als die beiden Diktaturen davor! Der Sinn des Geldes ist pervertiert. Das Geldsystem wurde so pervertiert, dass Geld wertvoller geworden ist als jede beliebige menge Menschenleben!
Warum wird das nicht erkannt? Warum wird das nicht geändert? Sind es die den Menschen anhaftenden Eigenschaften, wie Habgier und Größenwahn, die zur Unmenschlichkeit führen?
Ich bin froh darüber, dass es Menschen und Einrichtungen gibt, Menschen, die sich dafür einsetzen, den Mut besitzen, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Dafür wünsche ich ihnen allen nur erdenklichen Erfolg. |