Aspekte der aktuellen politischen Situation als Ausgangsbasis für die Bewegung „Gesellschaft und Visionen“
Peter Hesse
23. 06. 05
Das Ergebnis eines Jahres WASG
Am Ende des Versuches WASG lohnt es sich, zurück zu blicken. Was war das - nichts?
Die schnelle Integration der WASG in den Kreis der neoliberalen Parteien macht es möglich, die entscheidenden Kriterien dafür abzuleiten, wie so etwas vor sich geht, welche Voraussetzungen es braucht und wie man solche scheinbar zwangsläufigen Abläufe in Zukunft vermeiden kann. Wir können feststellen:
- Der Schwenk nach rechts erfolgte über die Führungsclique
- Er wurde sorgfältig vorbereitet
- Es waren unlautere, ans Kriminelle grenzende Methoden im Spiel.
- Die internen „institutionellen Voraussetzungen“, Satzungen und Programme aber auch personelle Besetzungen von nachgeordneten Gremien wie Landesvorständen und Länderrat wurden weitgehend konspirativ geschaffen. Die Mitglieder der agierenden Gang, des Bundesvorstandes und eines inneren Kreises von Gleichgesinnten, kannten sich von Anfang an und handelten abgestimmt.
- Die Gruppe verfügte über finanzielle Mittel von den Gewerkschaften. Üblicherweise kommen diese sonst aus der „Wirtschaft“, also von Einzelpersonen und Organisationen aus dem Bereich der Kapitaleigentümer.
- Für die Bildung der Gruppe gab es einen aktuellen Anlass: Der aufkeimende Protest gegen den Abbau der Sozialsysteme – Harz IV.
- Außerdem gab es einen zwingenden Grund – den politische Verschleiß der bisherigen Abwehrstrategien und Auffangorganisationen – SPD und Gewerkschaften.
- Die handelnden Personen „glauben“ an Hierarchien, sind autoritär fixiert, schwimmen im Mainstream bekannter Richtungen und zeichnen sich durch keinerlei Kreativität oder gar Genialität aus. Sie wissen das und versuchen deshalb entsprechendes Personal, so genannte charismatische Führer, einzukaufen – Lafontaine.
Zu den genannten Gründen und Zielen passen die Methoden:
- Es gab von Anfang an und an entscheidender Stelle ausschließlich das geheime Ziel, den sozialen Protest abzufangen, auch wenn einige der Beteiligten, wie A. Troost, das nicht ganz durchschauen. Sie funktionieren so.
- Die wirklichen Ursachen der sozialen Unruhe wurden und werden weiterhin systematisch verschwiegen, jeder Ansatz einer Diskussion wird unterdrückt.
- Es wurden Scheinperspektiven entwickelt und als Parteiziele installiert – „keynesianische Konjunkturpläne“
- Was nicht zu diesen Scheinperspektiven passt, und wer danach fragt, wurde und wird weiterhin mit allen Mitteln weggedrückt, insbesondere alle internationalen Probleme wie die Verlagerung von Fertigungsstätten und offiziellen Firmensitzen ins Ausland, sowie die vertraglichen Bindungen an Organisationen wie EU, WTO, und IWS und die daraus resultierenden Möglichkeiten zum Transfer von Gewinnen und zur Steuerhinterziehung.
Die augenblickliche Situation
Auch wenn einige von uns jetzt innerhalb der WASG noch dagegen anlaufen, im Bündnis mit der PDS in das neoliberale System integriert zu werden, es lässt sich nicht mehr ändern. In allen Gremien sitzen genügend Marionetten der Clique. Und auch eine Urabstimmung wird nichts ändern. Die „Sammlungsbewegung“ ist inzwischen auf die schweigende Mehrheit zusammen geschrumpft, auf das „Stimmvieh“ wie es der ehemalige Landesvorstand in Thüringen und K. Ernst-Freund B. Krummrich immer ganz offen aussprach. Die sind genau so manipulierbar, wie die große Mehrheit der anderen Wähler. Wir sollten sie lassen, wo sie sind. Die hat man besser nicht in den eigenen Reihen.
Dieses Jahr WASG hat uns Erfahrungen gebracht, die besser am Anfang gemacht werden. Eine Sammlungsbewegung ohne ein Mindestmaß an grundsätzlicher Übereinstimmung, das über die „Unzufriedenheit mit der Politik“ hinausgeht, bringt nichts. Da werden gute Leute für eine Sache verschlissen, die schon längst einem anderen Zweck als dem vorgegebenen dient, der Kanalisierung jeglicher emanzipatorisch-demokratischer Bestrebungen.
Wenn man im Laufe des letzten Jahres die Homepage der WASG angesehen hat oder die wenigen Beiträge zu politischen Inhalten, dann hatte man immer den Eindruck, die pennen. Im scharfen Kontrast dazu stand die Tatsache, dass nie Zeit war, über wirkliche Inhalte zu reden. Immer musste die Diskussion verkürzt oder verschoben werden, um irgendwelche Termine zu halten. Jetzt ist das wieder so. Weil man sich mit der PDS zusammenschließen will, hat man nicht die Zeit über das ob und warum zu reden. Da steckt System drin.
Wir brauchen klare Ziele. Wir müssen klären, wo wir uns befinden und wo wir langfristig hin wollen. Daraus können wir ableiten, was augenblicklich in die richtige Richtung geht, und was wir unbedingt vermeiden sollten. Wir haben in unserem Papier
„Arbeitsschwerpunkte und verbindlicher programmatischer Ansatz“
das zusammengefasst., was wir für einen Minimalkonsens halten. Letztlich resultiert das alles aus einem Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Dies ist die Infragestellung des Kapitalismus, des uneingeschränkten Rechtes, Profit profitbringend anzulegen. Die Betonung liegt auf uneingeschränkt.
In einer Zeit, von der gerne gesagt wird, dass sie keine Werte und Prämissen mehr kenne, wo jede gerade Linie durch irgendwelche Ausnahmen, Einschränkungen und Sonderregelungen zerfasert wird, gilt eine Sache uneingeschränkt:
Das Eigentum, im Sinne von Kapital, ist unantastbar.
Einmal nach den Regeln des Systems erworben, kann es niemandem genommen werden, dem größten Verbrecher nicht. (Für das Leben gilt das übrigens nicht. Sowohl in das Recht auf Leben, die Körperliche Unversehrtheit und die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person darf nach Artikel 2 GG auf Grund von Gesetzen eingegriffen werden.)
Wir wollen, dass das Recht, Profit zu machen, nachrangig wird.
Für alles, was wir aufgezählt haben, gilt das – Gesundheit, Bildung, Umwelt und nicht zuletzt für das Recht, sich eine Lebensplanung zu machen und dafür über einen Lebenszeitraum einplanbare Voraussetzungen vorzufinden beziehungsweise deren Trends abschätzen zu können. Eine einmal erworbene Qualifikation reicht sicher nicht lebenslang aus und ist schon gar nicht ein Anspruch auf eine bestimmte Stellung im Arbeitsleben und in der Gesellschaft. Aber ich muss wissen, mit welchem Engagement und Fortbildungsaufwand ich welche Chancen habe, etwas zu erreichen, also nicht das, was die Apologeten des Systems uns vorschwatzen wie: „Bill Gates hat auch mal in der Garage angefangen. Bei uns kann jeder alles werden.“
Jeder weiß, dass er das natürlich nicht kann. Die Chance ist für über 99.99 % von allen gleich Null, und wir denken eben an alle und wollen, dass die Chance einer sich erfüllenden Lebensplanung für alle deutlich über 50 % liegen muss.
Wir akzeptieren Kapitalismus also soweit, als er unsere eher als Minimalkatalog zu sehende Programmatik nicht von vornherein einschränkt.
Da bleibt noch genügend über, ein Großteil dessen, was in Deutschland etwas ungenau als „mittelständisch“ umschrieben wird. Kleingewerbe und Handwerk, Freiberufler und Selbständige widersprechen nicht von vornherein unseren Vorstellungen. Niemand will den Kneipern und den Betreibern von Wäschereien, den Ärzten, Anwälten und den Ingenieurbüros an den Kragen. Selbstverständlich muss über etwas satte Privilegien geredet werden. Wir wollen auf keinen Fall künstliche Strukturen erhalten, die sich überlebt haben, so wie das in Europa seit Ende des 2. Weltkrieges mit den Kleinbauern geschieht.
Das Problem der subventionierten Kleinbauern ist typisch für die Anpassungsunfähigkeit kapitalistischer Wirtschaftssysteme an die Herausforderungen einer modernen auf dem Fortschritt in Wissenschaft und Technik basierenden Gesellschaft. Eine nahtlose Einpassung der Landwirtschaft in das Gesamtsystem würde voraussetzen, dass gleich hohe Profitraten wie in anderen Wirtschaftsbereichen erzielt werden, d.h. dass der Gewinn auf das gesamte eingesetzte Kapital genau so hoch wäre, wie anderswo, insbesondere auf dem Weltmarkt. Dort wird ein solches Ziel spielend erreicht, einfach durch abgrundtiefe Lohndrückerei in den Entwicklungsländern.
Der alternative Weg wäre, durch Einsatz von fixem Kapital, d.h. Investitionen in Maschinen und Anlagen eine wesentliche Steigerung der Produktivität der Arbeitskräfte zu erreichen. Da die zu bebauende Fläche nicht vergrößert werden kann, und damit auch nicht die gesamte Menge an Endprodukten, ginge das nur über die Freisetzung der Mehrzahl der Arbeitskräfte. In Großbritannien wurde dieser Weg, im Gegensatz zu Kontinentaleuropa, schon immer praktiziert. Schon Karl Marx beschreibt dieses systematische Kleinbauernlegen. Im Vereinigten Königreich ging das leichter, und war auch zweckmäßig im Sinne der Herrschenden, da die „Entwicklungsländer“ in diesem Kolonialreich immer Bestandteil des gesellschaftlichen Gesamtsystems waren.
Wie man leicht sieht, ist die Stabilisierung des Systems über die Subventionierung ganzer Bevölkerungsschichten auf Dauer nicht möglich. Wir erleben jetzt die ersten Ansätze, dieses Problem gewaltsam zu lösen. Nicht zufällig macht das ein intimer Kenner des Kolonialmodells – Tony Blair.
Die Begrenzung der Ressourcen, hier des Bodens, ist nicht das Hauptproblem eines expandierenden Kapitalismus. Die Zusammenhänge sind nur besonders einfach und anschaulich, so dass dieses Beispiel zu Demonstration gewählt wurde.
Es ist die Unmöglichkeit eines grenzenlosen, exponentiellen Wachstums, und nur ein derart expandierender Kapitalismus ist funktions- und überlebensfähig.
Profit ist nur Profit, wenn er profitbringend angelegt werden kann. Das geht nur über produktive Anlagen und nicht durch noch so komplizierte Finanzkonstruktionen. Die verteilen nur um, ausnahmsweise mal nicht von unten nach oben, sondern fast ausschließlich unter den Zockern selbst. Verteilt wird da nur an anderer Stelle erwirtschafteter Profit. Es gilt, was der eine gewinnt, verliert der andere, ein Nullsummenspiel mit hohen Einsäatzen.
Ein Auto wollten noch alle haben, einen Fernseher auch. Mit dem Walkmann, dem Kassettenrecorder, dem Wäschetrockner und der Mikrowelle was das schon schwieriger. Sicher, es ist erstaunlich, dass eine breite Bevölkerungsmehrheit 100 € im Monat dafür übrig hat, auf dem Heimweg von der noch vorhandenen Arbeitsstelle der „Mutti“ die baldige Ankunft per Handy mitzuteilen. Das System lässt sich damit nicht retten. Es gibt genug von allem.
Der Neubedarf der Gesellschaft an Konsumgütern geht gegen Null.
Immer weniger Menschen sind bereit, in einem immer ekliger werdenden Arbeitsprozess länger für solche „Highlights“ zu schuften.
Die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander sind nicht nur ungerecht, das waren sie bisher immer. Das Ganze funktioniert einfach nicht mehr.
Das ist viel schlimmer. Karl Marx war fasziniert von der Dynamik des Kapitalismus. Wir können nur noch mit dem Kopf schütteln, bei Bertachtung dessen, was da so läuft. Noch bis weit in die Nachkriegszeit hinein galt, der durch Ausbeutung erwirtschaftete Wert wird wieder investiert. Heute läuft das nur noch zum kleinsten Teil so, fast ausschließlich als Ersatzinvestition. Und davon brauchen wir nicht viel, jedenfalls nicht so viel, dass der gesamte abgeschöpfte Mehrwert angelegt werden könnte. Es gibt nichts, was es nicht in ausreichender Menge gäbe. Fast jeder Produktionsbetrieb kann heute seine Produktion innerhalb kürzester Zeit um 10 bis 20 % steigern, ohne jegliche Investition. Fragen Sie mal einen „Unternehmer“, der Herrn Westerwelle Beifall klatscht, wenn der vom Abbau der Bürokratie und von Investitionen schwadroniert, wie es ihm gefiele, wenn jemand bekannt gäbe, irgendwo eine doppelt so große Fertigung aufzubauen – Angstschweiß und Panik.
Das ist der 1. Grund, warum nicht investiert wird – kein Bedarf.
Es gibt einen weiteren, schwerwiegenderen Grund.
Investitionen für wirkliche Innovationen lassen sich privat nicht finanzieren.
Obwohl die Öldollars und inzwischen auch die Euros täglich in Milliardenbeträgen zu Spekulationszwecken hin und her schwappen, wenn es um etwas wirklich Neues geht, sind sie nicht zu haben, es müssen Subventionen fließen . Das geschieht aus einem einzigen Grund. Es rechnet sich nicht, wie die Betriebswirte zu Recht sagen. Die zu erwartenden Gewinne sind zu gering.
Bei allem, was neu ist, läuft es nur über Subventionen. Das ist praktisch eine über den Staat organisierte, verdeckte Erhöhung der Ausbeutungsrate bei den arbeitenden Menschen. Die Steuern, die dafür gedacht sind, Dinge, die der Einzelne braucht - Bildung, Straßen, äußere und innere Sicherheit, Recht und Gesundheitsvorsorge - durch gemeinsames Handeln und Abgaben aus dem persönlichen Einkommen kostengünstiger zu gestalten, werden missbraucht um die Gewinne auf Kapital zu erhöhen.
Da läuft ein Stück Planwirtschaft im schlechtesten Sinne. Das ist die wirkliche Umverteilung, von unten nach oben.
Die Masse der Steuern wird von Menschen bezahlt, deren Einkommen unter dem Durchschnitt liegt. Und relativ, also prozentual, zahlen diese sowieso das Meiste. Auf allem, was ein Penner kauft, ist Mehrwertsteuer. Bei uns ist wenigstens die Miete davon ausgenommen, obwohl die andererseits für sich ein Trick der Abzocke ist. Spekulationsgewinne werden nicht besteuert.
Ansätze für eine zeitgemäße Strategie
Aus den dargestellten Sachverhalten ergibt sich ein Ansatz für eine Strategie des nahtlosen Überganges zu einer demokratischen kontrollierten Wirtschaft.
Die sogenannte Wirtschaftsförderung, das ist der Deckname für Subventionen, die in Wirklichkeit der Erhöhung privater Profite dienen, wird eingestellt,
je nachdem, wie die politische Situation das zulässt, schneller oder langsamer. Die daraus resultierenden Pleiten enthalten eine weitere zweite Chance. Die grundsätzliche Lebensfähigkeit und, aus gesellschaftlicher Sicht, die Erhaltenswürdigkeit werden durch eine objektive gesellschaftliche Instanz überprüft. Bei positivem Ergebnis wird die Konkursmasse übernommen und ein von der Belegschaft zu betreibendes Unternehmensmodell installiert. Es bedarf keiner staatlichen Subventionen. Es wird lediglich die Bonität des Unternehmens durch geeignete Bürgschaften sichergestellt. Nur dieses finanzielle Risiko belastet die öffentlichen Haushalte.
Es gibt keinen Transfer öffentlicher Mittel in privates Eigentum mehr.
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