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Strategiediskussion
 

Einige erste unverbindliche Überlegungen zur Bündelung linkskritischer Intelligenz

von Hermann Ploppa

Was ist der Unterschied zwischen „1968“ und heute?

Damals gab es ein solides Segement von kritischen Intellektuellen mit Gravitationszentren und strategischen Ansätzen, jedoch stieß dieser kritische Impetus nicht auf ein entsprechendes Bedürfnis bei den „breiten Massen“.

Heute ist es umgekehrt ...

Heutzutage gibt es bei den „breiten Massen“ ein großes Bedürfnis nach Neuorientierung, deutlich in eine andere Richtung als von der neoliberalen Strömung vorgegeben; jedoch versagt diesmal die kritische intellektuelle „Avantgarde“ auf der ganzen Linie. Frisches Blut ist weit und breit nicht in Sicht, und die ergrauten Gehirne derer von anno 68 und 78 sind verharzt. Festgefahren in alten Geleisen. Haben sich selber abgehängt von rasanten technologischen und ideologischen Überrumpelungen. Opa kriegt nix mehr mit vom linguistic turn und anderen Verfeinerungen der Herrschaftstechnik.

Nachwuchs ist nicht in Sicht. Der Brain Drain durch neoliberale Instant-Bewegungen wie Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, abgewickelt über BerlinPolis, ist nahezu flächendeckend. Nicht nur werden leistungsfähige Junghirne durch großzügige Stipendien an die neoliberalen Netzwerke angeklebt. Bereits die Schüler werden durch BerlinPolis mit Wettbewerben etc. gesichtet, gesiebt und geformt, bevor diese überhaupt nachdenken können, was sie mal werden wollen.

Nahezu dreißig Jahre linke Niederlagengeschichte haben die so Geschundenen altlinken Hartz-Hirne innerlich verbogen, die eigene Identität mit Niederlagenabläufen verschweißt. Allein schon der Gedanke, die eigenen Aktivitäten könnten tatsächlich zu einem substantiellen Erfolg führen, wird nicht mehr ernsthaft gedacht. Und mit jeder Drehung, die das Rad der prokapitalistischen Wendung vollführt, sind sie wieder einige Zentimeter weiter weg geschleudert vom Schwung der wirklichen Geschichte. Logischerweise wird das Denken in diesem Zusammenhang zunehmend reaktiv, die Reichweite der eigenen Ansprüche immer eingeschränkter:

„ Ein Traum wird wahr. Wer von uns glaubte denn noch, daß wir mal so weit kommen würden, ins Parlament gewählt zu werden?“, jauchzte WASG-Vorständler Thies Gleiss im Juli 2005 auf dem Bundesparteitag der WASG. Er ist damit zufrieden, daß ein heterogener Kreis von Leuten im fortgeschrittenen Lebensalter im Aufwind einer gewaltigen Presseunterstützung als WASG mit einer abgehalfterten Rentnertruppe aus den Neuen Bundesländern, nostalgisch „Partei des Demokratischen Sozialismus“ genannt, gemeinsam eine Art symbolische Stellvertreterpolitik im Bundestag abwickeln werden.

>>>Demoskopie und Wahlarithmetik anstelle des Kampfes um kulturelle Hegemonie. <<<

Anstelle eines Kampfes um die Führung auf der Diskursebene die Frage, ob Bisky stellvertretender Bundestagspräsident werden darf.

Doch auch die Kritiker dieser Elche haben sich bislang als unfähig erwiesen, aus dem zwanghaften Gedankenghetto herauszukommen. Gesprochen wird in Absprengselgruppen der WASG über Klatsch und Tratsch – ein Reflex auf nagende Zweifel an der Fähigkeit, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen zu können. Anstatt über Politik wird über vereinstechnische Verfahrensfragen lang und breit geredet. Man sitzt am gedeckten Eßtisch und streitet darüber, ob man nun Messer und Gabel oder besser Löffel und Schere zur Essenaufnahme verwenden soll.

Das Essen wird kalt. Man verhungert vor vollen Fleischtöpfen. Man erlaubt sich einfach nicht, hinzulangen.

Derweil ziehen rechtsgewirkte Wundheiler und geistverwirrte Bußprediger, die schon bei der ÖDP und der BüSo abgeschmettert wurden, begehrlich ihre Kreise um die gelähmte Tischgesellschaft und wittern Beute.

Offensichtlich bringt der Versuch neuer Parteigründungen alleine keine Befreiung.

Offensichtlich ist eine solche Gruppe weniger als die Summe ihrer Mitglieder.

Eindeutig wird nichts anderes bewirkt als die Errichtung immer neuer Mauern.

Es geht nun einmal nicht in erster Linie um einen neuen Pelztierzüchterverein mit Erstem Vorsitzenden, Zweitem Vorsitzendem, sowie dem Kassenwart und seinem Kassenprüfer.

Es geht darum, geistige Verharzungen zu erkennen und sich neuen, aber ebenso auch alten, bereits vergessenen Gedankenschulen gegenüber zu öffnen. Es geht darum, die Umwälzungen der letzten drei Jahrzehnte angemessen zur Kennntnis zu nehmen.

Nur eine Handvoll Aufgaben, die ihrer Anpackung harren:

  • Eine klare Linie zieht sich durch die Geschichte. Die Linie des Fortschritts. Ausgehend von den Reformbemühungen der Staufer, über die Waldenser, die Reformation, Aufklärung, Arbeiterbewegung bis zur Ökologie. Der Faden wurde immer wieder zerrissen, durch den Faschismus und durch die Roll-Back-Bewegung seit den Siebziger Jahren. 1968 versuchte man zum letzten Mal, den Faden wieder aufzunehmen mithilfe der Kritischen Theorie. Heutzutage vermittelt niemand mit Ausnahme der vielbelästerten Sozialkundelehrer den Menschen draußen im Lande, daß wir eine Tradition der Aufklärung haben, die ihren Niederschlag findet u.a. in unseren Gesetzen. Der Angriff auf die Vernunft und auf den Kategorischen Imperativ ist total. Eine Koalition aus sog. Neoliberalen und auf der anderen Seite klerikalen Reaktionären schert sich wenig um inhaltliche Diskrepanzen gegeneinander und nimmt gemeinsam Medien und Wissenschaft in Besitz. Kreationisten wollen den Aberglauben der Bibel wieder in der Wissenschaft etablieren. Auch hier in Deutschland regen sich schon die ersten Aktivitäten für diesen Atavismus. Dem müssen wir auf breiter Front die Errungenschaften der Aufklärung entgegenhalten. Wir müssen das Plateau derart ausweiten, daß wir es uns leisten können, auch wieder die Dialektik der Aufklärung zu erörtern.
  • Es gab in den Dreißiger Jahren ein tiefes kollektives Verständnis für die inneren Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsliberalismus, Faschismus und Kartellen. Daraus hatten Franklin Roosevelts Mitstreiter Henry Morgenthau und Harry Dexter White ein vollständiges und in sich schlüssiges Konzept für eine weltweite Friedensordnung erarbeitet. Durch den McCarthy-Terrorismus wurde die kollektive Festplatte komplett gelöscht, und die kriegerische Strategie des Militär-Industriellen Komplexes an dessen Stelle gesetzt. Der relative Wohlstand der arbeitenden Menschen in den Industrienationen ermöglichte über Jahrzehnte, diesen letztendlich tödlichen Weg der permanenten Hyper-Akkumulation zu akzeptieren. Nachdem die Ost-West-Dichotomie weggefallen war, entfiel auch diese militär-industrielle Option. Es bedurfte des 11. Septembers, um diese Erklärungslücke erneut zu füllen, und erneut die kollektive Festplatte zu löschen. Denn im Angesicht des Terrorismusphantoms wagt kaum noch jemand, die hyperakkumulierenden Kriegskartelle in Frage zu stellen.
  • 150 Jahre Arbeiterbewegung haben einen gigantischen Kollektivbesitz des Volkes entstehen lassen in Form von gesetzlichen Krankenkassen, Spar- und Raiffeisenkassen, gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften und gewerkschaftlichem Besitz. Das exponentiell wachsende spekulative Börsenkapital ist gerade dabei, sich diese Besitztümer unter den Nagel zu reißen. Wir müssen diese größte Diebstahlsaktion in der Menschheitsgeschichte offen beim Namen nennen. Wir müssen unmißverständlich herausarbeiten, daß es sich bei der Zusammenarbeit von Presse, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft in dieser Frage nicht um eine Koalition der Sachzwänge handelt, sondern um eine gigantische Kumpanei der Korruption. Wir schrecken leider davor zurück, die Dinge so zu benennen, denn längst haben die Raubritter eine legitimatorische, wissenschaftlich fundiert klingende Firnisschicht auch über unsere Hirne geklebt.
  • Wir müssen die sprachlichen, semantischen und logischen Verdrehungen entlarven und wieder zurechtdrehen, die von den Herren dieses Landes vollzogen worden sind. Wenn wir schon versuchen, uns zu einem Verständnis der Welt durchzutasten, haben wir bereits unzählige Male Denkwerkzeuge benutzt, die die bestehenden Herrschaftsverhältnisse bestätigen und immer erneut herstellen.

5.) Erfolgreiche menschenfreundliche Politiken zur Kenntnis nehmen und auf ihre Brauchbarkeit für die heutige Situation abtasten. Neben den skandinavischen Ansätzen denke ich hier besonders an die überaus erfolgreiche Ära unter Franklin Delano Roosevelt in den USA.

Mit welchen Mitteln können wir den o.g. Fehlentwicklungen begegnen?
  • Wir müssen ein Netzwerk in der Gemeinschaft der Wissenschaftler etablieren. Dieses geschieht durch eine Internet-Debattenzeitschrift, durch Seminare und Kongresse.
  • Die dort entwickelten Erkenntnisse müssen weitergetragen werden in Lektürezirkel, Bildungs- und Diskussionskreisen in einzelnen Orten. Beim heutigen Zerfall der Sozialität ist es vermutlich erforderlich, in geradezu therapeutischer Weise die Menschen wieder an gemeinschaftliches Lernen, Denken und Debattieren heranzuführen.
  • Hier muß insbesondere ausprobiert werden, wie man junge Leute für unsere Ansätze gewinnen kann. Hier herrscht in der Tat eine große Orientierungslosigkeit. Den meisten jungen Leuten fehlt jede geistige Topographie. Soll heißen: sie wissen nicht, in welcher Tradition sie stehen, und was vorherige Generationen ihnen als unvollendeten Auftrag hinterlassen haben.
  • Angesichts des allgemein zu bemerkenden Bedürfnisses nach Sinnstiftung und Geborgenheit sollten sich auch wir uns nicht zu fein sein, über Mittel und Wege nachzudenken, wie nicht nur der Verstand, sondern auch das Gefühlsleben in neuen Organisationsformen zu ihrem Recht kommen kann. Was nützt uns die rationale Durchdringung der Welt und das Aufzeigen eines Weges, wenn doch für die meisten von uns klar ist, daß wir das Gelobte Land selber nicht mehr erreichen werden? Der Weg ist das Ziel. Die Arbeit an der besseren Welt muß hier und jetzt so viel innere Erfüllung gewähren, daß man auch Diskriminierungen u.ä. von außen locker wegstecken kann. Eine Denkfabrik sollte diese Option immer im Blick behalten.
Der Fahrplan

In einer ersten Phase würde man in einer parteiübergreifenden Aktion die Möglichkeiten eines breiteren Blickwinkels erproben und über die Aktion Kontakte knüpfen.

Erste Seminare könnten Defizite im Denken aufdecken und zu neuen Ansätzen verhelfen. Dazu hatte ich schon ein paar Seminare „angedacht“:

  • „Terrorismus als globaler Wirtschaftszweig“
  • „Mead, Edelman und der linguistic turn, oder: warum wählen die Leute meistens die größten Idioten?“
  • „Wirtschaftsliberalismus, Faschismus und Kartelle – eine gar nicht so unmögliche Verbindung“
  • „Die Aufklärung – ein von uns vergessener Handlungsauftrag“

Die zu gründende Internet-Debattenzeitschrift sammelt und vermittelt die Ergebnisse und macht immer wieder bewußt, daß wir hier und jetzt in dieser Gesellschaft den Paradigmenwechsel anzupacken haben. Möglicher Name der Zeitschrift: „Candide“ Untertitel: „Die beste aller Welten?“ nach dem Roman von Voltaire.

Doch zurück zum ersten Schritt!

Der kann sofort vollzogen werden. Wir brauchen nur Fernseher oder Radio anschalten. Sofort werden wir von immer der selben neolibralen Leier überwältigt. Und es wird immer noch schlimmer.

Es geht nicht mehr um die Frage: CDU oder SPD oder Grüne oder FDP oder PDS oder CSU? Es geht nur noch um die Frage: Mitglied bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder „unabhängig“? Wir haben quasi eine diskurstechnische Monokultur erreicht. Ein ideologisches Einparteiensystem.

Darum sollten wir möglichst bald ein Bundestreffen zum Thema:

„INSM und ihre Tochter-Metastasen. Neoliberale Monokultur. Tun wir jetzt etwas dagegen!“ <muß nicht das letztendliche Motto sein! Nur Arbeitstitel>

einberufen werden, zu dem ALLE irgendwie glaubwürdigen nicht-INSM’ler eingeladen werden. Bei dem Bundestreffen soll nach einer kurzen Diagnose des IST-Zustandes über Möglichkeiten einer Gegenkultur nachgedacht werden. Ein solches Treffen sollte durchaus die Möglichkeit bieten, eine neue eigene Bewegung der neoliberalen Gehirnwäsche entgegenzusetzen.

Im ersten Schritt werden E-Mails an alle möglichen Ansprechpartner verschickt. In dieser Mail soll eine Beschreibung der INSM und ihrer Aktivitäten und Filiationen durchgeführt werden, um möglichst alle Adressaten auf einen vergleichbaren Wissensstand zu bringen. In Verlinkungen würde hingewiesen auf die NachDenkSeiten, auf die Studie der Hans-Böckler-Stiftung zum Thema etc.

Zwei Wochen später erfolgt dann ein erneute Rund-Mail. In dieser wird gezielt auf ein Bundestreffen orientiert. Hier sollte auch zum ersten Mal eine Unterschriftenliste auftauchen.

Das Bundestreffen soll zum Ergebnis haben: eine eigene Homepage über die INSM – nach Art der amerikanischen Watch-Seiten (z.B. Wal-Mart-Watch, Human Rights Watch) mit regelmäßigen Newslettern. Es gibt bereits die NachDenkSeiten. Es muß geklärt werden, ob die für den gennannten Zweck ausreichen. Die Namen der einschlägigen „Experten“, die in den Medien immer wieder als Wissenschaftler vorgestellt werden, in Wirklichkeit aber Lobbyisten der INSM sind, werden überall nebst Foto bekanntgegeben, und damit der Nutzwert dieser Leute für die INSM „verbrannt“. Flugblätter, Plakataktionen, Vorträge an Unis und in städtischen Räumen.

Des weiteren eine eigene PR-Abteilung, die Infos von den ganzen verstreuten Ein-Punkt-Organisationen sammelt, ggf. journalistisch aufbereitet und die Presse regelmäßig mit redaktionstauglichen Texten bestückt. Man sollte den rechten Think Tanks nicht den fruchtbaren Acker ausgedünnter Redaktionen alleine überlassen.

Hier ergibt sich die Möglichkeit, ein weit größeres Potential zu erreichen und einen Paradigmenwechsel in der Politik vorzubereiten.

Stellungnahmen, Ergänzungen etc. sind erwünscht, denn dieses Papier repräsentiert nur die begrenzten Möglichkeiten einer machtlosen Einzelperson.

 

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