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Sozialforum 2005
 

Diskussionsangebot an die soziale Bewegung, an das Sozialforum in Deutschland!

 

I Gegen die neoliberale Politik – mit emanzipatorischen Politikansätzen!

Im Zuge der Abwehrkämpfe gegen die Sozialabbau-Politik der neoliberalen Parteien wurden politische Alternativen diskutiert – u. a. auf dem Perspektivenkongress (Berlin, 14.-16. Mai 2004) und der bundesweiten Konferenz "Wir haben Alternativen zu Hartz IV und Agenda 2010!" (Berlin, 3. Oktober 2004).

Dabei wurde deutlich, dass

  1. die Alternativen zur Politik der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP sich nicht nur auf die Politikansätze der Agenda 2010 und auf die nationale Ebene reduzieren können,
  2. die Alternativen kein zurück zum alten repressiven und ausgrenzenden Sozialstaat bedeuten dürfen,
  3. die alternativen Politikansätze aufeinander bezogen werden müssen.

Anhand folgender auf den genannten Konferenzen diskutierten Alternativen soll dies verdeutlicht werden. Diskutiert wurden:

- eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten durch

eine andere Steuerpolitik,

- ein bedingungsloses Grundeinkommen,

- eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohn- und Personalausgleich,

- ein gesetzlich garantierter Mindestlohn,

- die Verfügung über und der Zugang zu öffentliche/n Güter und Dienstleistungen für alle statt deren Privatisierung.

Alle fünf genannten Ansätze sind auch auf die europäische und die globale Dimension der sozialen und demokratischen Gestaltung der Gesellschaft/en beziehbar. Daraus folgt das mögliche Zusammengehen von nationalen, europäischen und mit globalem Bezug agierenden Teilen der Sozialbewegung. Alle fünf Ansätze beinhalten eine Abkehr von repressiver und ausgrenzender Sozialstaatlichkeit und daher das Zusammengehen von sozial engagierten und emanzipatorischen Kräften.

Alle fünf Ansätze beziehen sich aufeinander – und können daher über die verschiedene Ansätze hinweg ein gemeinsames politisches Vorgehen ermöglichen.

- Steuerpolitik ist ein zentrales Instrument der Verteilung von Reichtum. Der gegenwärtige Trend der Steuerpolitik, nämlich einer Umverteilung von unten nach oben, setzen wir eine Steuerpolitik entgegen, die die Reichen belastet und die ökonomisch Schwächeren entlastet und zwar sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Sie ist Voraussetzung für das bedingungslose Recht auf ein Einkommen, den Erhalt, den Ausbau und die Demokratisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen. Diese Steuerpolitik setzt aber auch auf Vereinfachung und Abbau von Bürokratie.

- Das Grundeinkommen ist ein bedingungsloses Recht aller auf existenzsicherndes Einkommen und gesellschaftliche Teilhabe. Es steht in direkter Opposition zum Hartz IV – Gesetz, welches Armut, Überprüfung der Bedürftigkeit, Arbeitszwang und Ausgrenzung verschärft. Darüber hinaus befördert das existenzsichernde bedingungslose Grundeinkommen in hohem Maße die reale und wirksame Durchsetzung anderer Alternativen, wie die radikale Arbeitszeitverkürzung und den gesetzlichen Mindestlohn. Es befördert national wie auch global für jede/n das selbstbestimmtes Tätigsein und die Teilnahme an der demokratischen Gestaltung der Gesellschaft. Es setzt eine Umverteilung von oben nach unten voraus, befördert den Abbau repressiver und bürokratischer Sozialstaatlichkeit.

- Eine radikale Arbeitszeitverkürzung ist gemeinsam mit dem existenzsichernden bedingungslosen Grundeinkommen die Antwort auf eine hochproduktive und zunehmend bröckelnde lohnarbeits- und kapitalzentrierte Gesellschaft (national als auch global), die im Überfluss überflüssige Menschen, die die Zerstörung des Sozialen und der Natur, die eine Angst- und Risikogesellschaft produziert.

Beide Ansätze, radikale Arbeitszeitverkürzung und bedingungsloses Grundeinkommen, orientieren auf die Mehrung der individuellen frei verfügbaren Zeit für alle Menschen jenseits von Not und notwendiger Arbeit. Die durch die zunehmende Produktivität freigesetzte Zeit kann allen zu gute kommen und als Freiraum für selbstbestimmte und für gesellschaftlich wertvolle Tätigkeit jenseits der Erwerbsarbeit und für die Neugründung des sozialen Zusammenhalts genutzt werden.

- Für alle zugängliche und demokratisch gestaltbare öffentliche Angebote an Gütern und Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung, Kultur, Natur, Mobilität, Wasser …) sind die wichtige Ergänzung zur radikalen Arbeitszeitverkürzung und zum bedingungslosen Grundeinkommen. Die Wirksamkeit von Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen für ein selbstbestimmtes Leben in einer demokratischen Gesellschaft würden durch die Privatisierung der öffentlichen Güter und Dienstleistungen weitgehend in Frage gestellt, existenzielle und ökonomische Abhängigkeiten stattdessen verschärft.

Der bisherige, alte Sozialstaat hat grundlegende Defizite: Er schafft Armut und ökonomische Abhängigkeiten, benachteiligt Frauen, hat unzeitgemäße Solidaritätsstrukturen, schließt weite Bevölkerungsgruppen von seiner politischen Gestaltung aus und ist bürokratisch. Diese Charakterisierung trifft im nicht unerheblichen Maße auch für die neoliberale Entwicklungspolitik zu.

Damit soziale Sicherheit für alle, Geschlechtergerechtigkeit und eine demokratische Gestaltung der Gesellschaft zukünftig gewährleistet werden kann, brauchen wir die Ausweitung und Erneuerung des Demokratie- und Solidaritätsgedankens.

Die demokratische Gestaltung und Kontrolle der sozialen Sicherungssysteme sind wichtige Elemente einer demokratischen und sozialen Gesellschaft. Ziel ist die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens für alle – der neue Sozialstaat, auch eine neue Entwicklungspolitik hat nur diesen und keinen anderen Zweck.

Verteilungsgerechtigkeit ist für den neuen Sozialstaat und die neue Entwicklungspolitik unabdingbar. Die Neubegründung der Verteilungsgerechtigkeit muss aber eine Anerkennungsgerechtigkeit (Anerkennung einer Vielzahl von Arbeits-, Ökonomie- und Lebensmodellen, Kulturen und Werten auf der Basis von Toleranz und Gleichberechtigung) und eine Aushandlungsgerechtigkeit (Möglichkeit der Beteiligung aller am demokratischen Aushandlungsprozesses hinsichtlich öffentlicher Angelegenheiten) beinhalten.

II Gegen die neoliberale, "alternativlose" Politik – für die Entwicklung der Demokratie!

Die in der Bundesrepublik Deutschland und im globalen Kontext agierenden, herrschenden politischen Kräfte unterscheiden sich trotz behaupteter Unterschiede nur geringfügig in ihren neoliberalen Ansätzen. Nicht selten versuchen die neoliberalen und imperialistischen Kräfte, sich an die Spitze der Bekämpfung nationalistischer, fundamentalistischer und terroristischer Kräfte zu setzen. Damit will sich der Brandstifter zum Feuerwehrmann (v)erklären. Die Aufhellung dieser Verklärung, die Demaskierung der neoliberalen "Alternativlosigkeit" und der neoliberalen Lobbypolitik ist daher genauso unsere Aufgabe wie die politische Beförderung der sozialen und demokratischen Alternativen und der Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Völker und Individuen.

III Rolle der Gewerkschaften und der Wohlfahrt

Die Gewerkschaften und die Wohlfahrtspflege sind in korporatistischer Weise in die alte Sozialstaatlichkeit eingebunden. Sie sind aber ebenso von neoliberaler Politik betroffen.

Die Gewerkschaften, auch die deutschen, sehen sich auch Veränderungen in der Arbeitswelt, dem Bröckeln der traditionellen Arbeitsgesellschaft, gegenüber.

Die Gewerkschaftsführung in Deutschland ist immer noch im besonderen Maße (personell und organisatorisch) mit den Sozialabbau-Parteien verbunden.

Die Wohlfahrtsverbände in Deutschland sind eng gebunden an politische Entscheidungen und Förderungen im Sozialen, sehen sich einer zunehmenden Ökonomisierung ihrer Tätigkeiten ausgesetzt. Einige Wohlfahrtsverbände sind personell mit Sozialabbau-Parteien verflochten.

Zugleich aber erheben beide – Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände – den (schon immer problematischen) Anspruch, Lobby für die Entrechteten, ökonomisch Abhängigen und Ausgegrenzten zu sein und stellvertretend für diese zu sprechen.

Beides, eigene Abhängigkeit und Lobbyismus für Abhängige, widerspricht sich jedoch zunehmend. Die Abhängigkeiten verhindern dem Lobbyanspruch gerecht zu werden.

Für die Gewerkschaften wäre eine Befreiung aus der Umklammerung durch Parteien hilfreich, für die Wohlfahrtsverbände eine wahre Durchsetzung des Subsidiären, der Unhabhängigkeit von staatlichen, parteilichen und wirtschaftlichen Interessen.

Darüber hinaus gilt aber: Die oben beschriebene neue Sozialstaatlichkeit enthebt beide der enormen Belastung durch den problematischen, traditionellen Stellvertreteranspruch.

IV Sozialbewegungen und die Umweltfrage

Wenn die Sozialbewegungen die Ermöglichung des selbstbestimmten Lebens aller zum Ziele haben, ist diese soziale Frage nicht losgelöst von der Umweltfrage zu stellen. Die Voraussetzung aller Selbstbestimmung ist die Bewahrung und Mehrung der Grundlagen menschlichen Lebens überhaupt und deren Anerkennung als Selbstzweck, nicht als bloße Ressource für das menschliche Leben.

Eine soziale und demokratische Gestaltung der Gesellschaft impliziert die ökologische Gestaltung menschlichen Tuns. Diese Anerkenntnis ist Basis für ein Miteinander der Umwelt- und Sozialbewegung. Umgekehrt ist die Anerkenntnis der sozialen und wirtschaftlichen Ursachen für ökologische Probleme seitens der Umweltbewegung Voraussetzung eines wirkungsvollen Miteinanders.

Das Sozialforum in Deutschland konstituiert sich in der Phase des Kampfes für die vorgezogene Bundestagswahl. Das Sozialforum hat nicht die Pflicht aber das Recht, Menschen und Natur gefährdende Politiken und deren Akteure zu benennen. Das Sozialforum hat nicht das Recht, Empfehlungen für Parteien auszusprechen, wohl aber die Pflicht, seine Stimme für Demokratie, Soziales und Ökologie zu erheben, Alternativen zur neoliberalen Politik der in der Bundesrepublik etablierten Parteien zu benennen.

Ronald Blaschke, Dresden – Rblaschke@aol.com

Sascha Kimpel, Berlin – SaschaKimpel@gmx.de

Dresden/Berlin, am 16.07. 2005

 

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