„Agenda Klassenkampf - wie lange hält der soziale Friede?“
Interview mit Wolfgang Kraushaar
Hörprotokoll der Sendung vom 09. März 2005 bei HR2 – „Der Tag“. Aufgeschrieben von E. Hesse und R. Spitzer
Mentzer: Ist der soziale Friede noch zu retten, oder steuern wir auf Bürgerkriegsähnliche Zustände zu? Jetzt wollen wir mal schauen, unter welchen Bedingungen in Deutschland überhaupt so etwas, wie eine schlagkräftige Protestbewegung entstehen kann. Es ist ja nicht so, dass es so etwas hierzulande noch nie gegeben hätte. Schauen wir mal in Richtung `68. Wolfgang Kraushaar, Politologe am Hamburger Institut für Sozialforschung. Was braucht es denn eigentlich, damit sich, ähnlich, wie `68, eine Gesellschaft in Bewegung setzt?
Kraushaar: „Das sind natürlich ganz verschiedene Faktoren gewesen, die damals zusammen getroffen sind. Als erstes wäre da zu nennen, dass es ganz andere politische Rahmenbedingungen gegeben hat. Die 68-iger Bewegung ist ja deshalb nur so stark geworden, weil die große Koalition an der Macht war, und es in sofern eine Schwächung einer innerparlamentarischen Opposition gegeben hat. Das ist das Eine. Das Zweite ist die Tatsache, dass die damaligen Massenmedien ein großes Interesse an den Themen hatten, die durch die 68-iger Bewegung besetzt worden sind. Sei es der Vietnamkrieg, sei es die Opposition gegen die Notstandsgesetzgebung, Bildungsfragen, Sexualität, Erziehung, u.s.w. Das ist ein ganzes von unterschiedlichen Dingen. Und dann kommt hinzu, dass es damals charismatische Figuren, wie Rudi Dutschke gegeben hat. Oder die Kommunarden. Und damit sind so etwas, wie zündende, neue Ideen ins Spiel gekommen, die sich nachher als nicht ganz so zündend herausgestellt haben, aber damals für eine gewisse Zeit lang als Alternative im öffentlichen Raum diskutiert worden sind.“
M: Geschieht so etwas eigentlich unvorhersehbar, oder hätte man die revolutionären Zeichen der Zeit schon frühzeitig erkennen können?
K: „Es ist im Grunde genommen auch damals nicht wirklich vorhersehbar gewesen. Insofern ließ sich das auch alles wissenschaftlich nicht prognostizieren. Es wird da immer ein ganz spannendes Beispiel genannt, das zwei Wochen vor Ausbruch des Pariser Mai`s, 1968 die Zeitungen prognostiziert haben, dass sich nämlich in Frankreich nichts tun wird. Und dann ist das passiert, dass nämlich da ja wirklich nun das Schicksal der Regierung auf dem Spiel gestanden hat. Also das lässt sich ganz schwer voraussagen.“
M: Kann man denn sagen, dass die bürgerliche Gesellschaft und die politische Klasse da so ein bisschen die revolutionäre Zeit verpennt haben?
K: „Das ist ganz gewiss so gewesen. Es hat natürlich gerade im Bereich des Bildungssektors eine Menge von Alarmzeichen gegeben und es hat darüber hinaus natürlich im soziokulturellen Sektor insgesamt eine Menge von Anzeichen für Neuerungen, von Haltungsänderungen gegeben. Und das hat man nicht wirklich ernst genommen offenbar, oder war soweit abgeschottet davon, dass man nicht in der Lage war, diese Zeichen angemessen zu interpretieren.“
M: Sie sagten eben schon es waren in erster Linie Studenten, Intellektuelle von denen diese Bewegung ausging und die sich den Klassenkampf auf die Fahnen geschrieben hatten. Aber die Klassen wollten von diesem Kampf ja gar nicht so besonders viel wissen. Der richtige revolutionäre Elan, der ist doch dann ziemlich schnell verpufft.
K: „Das ist zweifelsohne so gewesen. Es hat so etwas wie eine Scheinstärke gegeben. So anderthalb Jahre etwa hat das gedauert und man hat dann doch erkennen müssen, dass diese Stärke einfach nicht, dass die Bewegung nicht weiter vorangetrieben werden könnte und hat versucht, oder geglaubt, man könne das durch festere Organisierung und durch eine stärkere Adressierung an die Arbeiterklasse dann irgendwie lösen. Und das hat sich sehr schnell gezeigt, dass genau das nicht möglich sein wird. Es hat zwar relativ lange gebraucht, bis diese Gruppierungen sich dann die 70-er Jahre hindurch, dann am Ende der 70-er Jahre meistens erst aufgelöst haben. Aber das war sozusagen der große Irrglaube zu denken, man könne aus einer Studentenbewegung heraus eine gesamtgesellschaftlich, vor allen Dingen durch die Arbeiterschaft gestärkte Bewegungsformation aus der Taufe heben.“
M: Also das sogenannte revolutionäre Potential des Proletariats, das ließ sich nicht revolutionieren. Woran lag das genau? Lag es vielleicht daran, dass die 68-ger Bewegung doch eher eine theoretische war und gar nicht so sehr an die soziale Praxis mit ihren Ungerechtigkeiten, Widersprüchen angeknüpft hat?
K: „Das ist zum Teil sicherlich richtig, aber dennoch glaube ich nicht, dass das der Hauptgrund war. Ich glaube, dass die 68-ger Bewegung in Wirklichkeit eine Jugendbewegung gewesen ist, und insofern sie es ohnehin schwer hatte, sich an Ältere zu wenden, sie einzubinden. Es ging im Grunde genommen um eine Veränderung, eine Revolutionierung in gewisser Weise des Wertekanons, um die Veränderung von Einstellungen und so weiter, und so fort. Und das ist völlig divergent zu dem, wovon Arbeiterproteste ausgehen. Insofern ließ sich das wirklich nicht unter einen Hut bringen. Und die Frage letztlich, warum daraus keine gesellschaftliche Kraft in einem gesamtgesellschaftlichen Sinn hat entstehen können, die ist damit eigentlich schon beantwortet, denn es konnte nicht gelingen, dass eine so kleine Gruppierung, eine so kleine aus der Gesellschaft dann einen Anstoß gibt, um wirklich die Mehrheit davon zu überzeugen.“
M: Es fällt dem Zeitungsleser und Medienkonsumenten häufiger auf, dass da die 68-ger Beschimpfung derzeit fast schon zum guten Ton gehört. Also die 68-ger sind an allem Schuld, die haben uns eigentlich alles versaut, von der Erziehung bis – ich weiß nicht wohin. Wird denn momentan versucht, gesellschaftlichen Protest schon mal vorab zu diskreditieren, mit diesem Verweis auf 68?
K: „Das wird sicherlich hin und wieder eine Rolle spielen, aber gleichwohl denke ich nicht, dass das letztendlich der ausschlaggebende Grund ist. Ich glaube, man ist einfach müde, dass man ständig wieder, was weiß ich, Jahreszahlen um die Ohren gehauen bekommt und immer es mit dieser 68-ger Konfiguration zu tun hat. Ich glaube, die Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit, in ihrer großen Gesamtheit, insbesondere die jüngeren Leute sind davon etwas genervt. Und dafür kann man durchaus Verständnis haben, man will ja nicht immer wieder mit dem Geschichtsbuch von vor 40 / 50 Jahren konfrontiert sein.“
M: Sind denn die Deutschen aus Ihrer Sicht überhaupt revolutionsfähig, oder haben wir es 68 gelernt, Evolution ist besser, als Revolution?
K: „Das ist natürlich das Stichwort. Evolution spricht ja im Grunde genommen eher auf das an, was sich 1989 / 90 eher in der ehemaligen DDR abgespielt hat. Da ist ja der große Gewinn derjenige gewesen, dass man dort mit friedlichen Mitteln ein Regime zum vorzeitigen Ende hat bringen können.“
M: Das war Wolfgang Kraushaar, Politologe und Historiker am Institut für Sozialforschung. Schönen Abend und vielen Dank nach Hamburg.
Zur Person:
Dr. Wolfgang Kraushaar,
geb. 1948, promovierter Politikwissenschaftler, studierte an der Universität Frankfurt/Main Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik; 1978 bis 1982 Mitarbeiter am Didaktischen Zentrum der Universität Frankfurt; 1982 Promotion bei Prof. Iring Fetscher mit einer Dissertation über den Strukturwandel der deutschen Universität; seit 1987 Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, Schwerpunkt: Die Erforschung der Protestbewegungen in Bundesrepublik und DDR.
Quelle: www.his-online.de
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