Deutsche Einheit – Späte Schatten über dem Erfurter Stadtteil Wiesenhügel
von Klaus Buschendorf
Die Kommunale Wohnungsgesellschaft Erfurt, kurz KoWo genannt, steckt in der Klemme. Sie muss Plattenbauten aus den siebziger Jahren abreißen, sonst geht sie Pleite. Aber die Mieter wollen nicht aus ihren Wohnungen. Verständlich. Ein echtes Dilemma. Aber warum?
Die Bundesregierung hat etwas gegen Plattenbauten aus DDR-Zeiten. Sie fördert ihren Abriss aus Steuergeldern. Wer folgsam abreißt, erhält noch „Altschulden“ erlassen. „Altschulden“ – was ist das?
Bekanntlich war die DDR-Wirtschaft dem Wesen nach ein Staatskonzern. Alle Betriebe führten Gewinne komplett ab und erhielten dafür Staatszuschüsse nach Bedarf. Die wurden als „Kredit“ eingetragen – ohne Zinssatz und Tilgung. Die BRD brachte „Ordnung“ in diese Buchführung. Aus den Geldzuteilungen, machte sie „echte“ Kredite – mit Tilgung und Zinsen. Wie sollten die Betriebe das bezahlen können, hatten sie doch vorher alles Kapital treu und brav an den Staat DDR abgeführt? Reihenweise brachen die Betriebe der alten DDR zusammen – Massenarbeitslosigkeit zog ein im Osten. Das war so gewollt. Aus der „Konkursmasse“ bedienten sich die deutschen Großkonzerne. Ihre Gewinnsprünge von damals sind legendär wie die Sprünge ihrer Vorstandsgehälter.
Die Bundesregierung damals wollte den Bogen nicht überspannen. Es gab Ausnahmen – „Kredite“ wurden gestundet. Nun ist bei der KoWo bald die Stundung um. Und die KoWo kann nicht zahlen.
Es ist wichtig, sich dieser Grundlagen zu erinnern. Denn keine heutige Partei, keine Stadtverwaltung hat den jetzigen Zustand primär verursacht. Es ist der Hass des Monopolkapitals auf alles, was die DDR schuf, der in Erfurt dieses heutige Dilemma verursacht.
Dieser Hass ist in Gesetze gegossen. Die Stadtverwaltung ist an Gesetze gebunden. Sie und alle Stadtratsfraktionen stecken in der Klemme: Abriss – die KoWo wird schuldenfrei, die Mieter zahlen die Zeche. Kein Abriss – die KoWo geht Pleite. Für Stadtverwaltung und Parteien der Horror – und keiner scheint weiter zu denken als: Die Mieter müssen raus.
Musste sich das so zuspitzen? Auch die Wohnungsbaugesellschaften haben Plattenbauten. Sie hatten es leichter: Der Bestand ist nicht so groß, die Einlagen ihrer Mitglieder waren ein kleines Kapital. Ihre Führungen verhinderten einen solchen Zustand wie in der KoWo. Denn – die Misswirtschaft in der KoWo ist unter Insidern kein Geheimnis. Deshalb hat nur die KoWo dieses Problem.
Bürgerrat und Bürgerinitiative des Stadtteils Wiesenhügel sind sich in zwei Dingen (getrennt, warum eigentlich?) einig: Untersuchung der Misswirtschaft und Feststellung der Schuldigen – und kein Abriss der Plattenbauten und Auszug der Mieter.
Die erste Forderung kann einige verschwundene Millionen zurück bringen – kann, sicher ist das nicht. Die zweite ist ein Gebot der Selbstachtung. Nicht die Mieter haben diesen Zustand zu verantworten. In dieser Gesellschaft, die den hemmungslosen Egoismus zum obersten Wirtschaftsprinzip auf ihre Fahnen schrieb (schamvoll „Neoliberalismus“ und „Globalisierung“ genannt), erhält jeder Mensch vom gesellschaftlichen Reichtum nur so viel, wie er sich erstreitet. Wer anders denkt, wird als bedauernswerter „Gutmensch“ verspottet. Sollen sich die Bewohner des Wiesenhügels zum Schaden, den sie so schon haben, als „Gutmenschen“ bezeichnen lassen, die sich nicht zu wehren wissen?
Dabei ist, formal gesehen, das Wehren ganz einfach. Sie pochen auf ihre Mietverträge und ziehen nicht aus. Die KoWo müsste sie einzeln heraus klagen (mit welcher Begründung?). 1000 gerichtliche Klagen gegen ihre Mieter? Die KoWo hat keine Chance. Sie geht schon Pleite an den Gerichtskosten.
Wie findet man eine Lösung? Das Grundgesetz zeigt den Weg. Artikel 14/2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Das Wohl der Allgemeinheit ist in diesem Fall das Wohl der Mieter. Setzen wir den Fall: Die KoWo geht pleite. Dann ändert sich für die Mieter zunächst gar nichts. Der Insolvenzverwalter, auch der später vielleicht folgende neue Eigentümer, muss ihre Verträge genauso achten wie die KoWo. Für die Erhaltung der Wohnungen wird der Insolvenzverwalter nur begrenzte Mittel haben, bis sich eine Lösung findet.
Was ist der Stadtverwaltung und den Parteien vorzuwerfen? Dass sie nur „betriebswirtschaftlich“ denken – man könnte einfacher sagen: Im Sinne des Kapitals der KoWo. Kapital ist Eigentum: „...sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Warum bleiben die Verantwortlichen bei „betriebswirtschaftlichen Zwängen“ stehen? Warum wenden Rechtsanwälte, Steuerberater, Buchhalter und Geschäftsführer ihre Fähigkeiten nicht an, Lösungen „zum Wohle der Allgemeinheit“ zu finden? Der Bürgerrat schlug vor, die betreffenden Wohnungen aus dem Bestand der KoWo auszugliedern und sie in Selbstverwaltung weiter zu führen. Es gibt sicher noch andere Möglichkeiten, das Problem in seiner Gesamtheit zu lösen. Wird danach gesucht?
Wer danach sucht, sollte sich erinnern und danach handeln: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
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