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Mobilisierung
 

Bsirske und der Ehrenkodex

von Klaus Buschendorf

Ein Mann nutzt eine Vergünstigung, die ihm sein Betrieb durch ein Arbeitsverhältnis gewährt. Er wäre schön dumm, wenn er es nicht tut, sagt jeder, der davon hört. Nun ist der Mann Gewerkschaftsführer. Als solcher sitzt er im Aufsichtsrat. Die Vergünstigung ist eine Flugreise. Seine Gewerkschaft streikt gerade, und er fliegt auf Kosten des bestreikten Unternehmens in die Südsee. Protest hebt an im Blätterwald? Wogegen hat er verstoßen?

Das Mitbestimmungsgesetz in der Bundesrepublik, gemeinsam erkämpft in den ersten Jahren ihrer Existenz von SPD und Gewerkschaften, sieht vor, dass zur Hälfte Vertreter von Arbeitnehmern in den Aufsichtsräten sitzen. Sie dürfen nicht diskriminiert werden und haben gleiche Rechte und gleiche Bezüge wie alle. Ist das gut?

Die schnelle Antwort auf die zweite Frage lautet: ja! Doch – wie soll man auf die erste Frage antworten? So einfach geht das nicht.

Mitbestimmung in den Betrieben ist eine uralte Forderung seit August Bebel. Mit dem Gesetz schien sie erreicht. Man wird keine Streiks mehr brauchen, sitzen im Aufsichtsrat Arbeiter. So war die Überzeugung – damals.

Als die SPD dieses Gesetz durchsetzen konnte, fühlten sich die Arbeiter noch als Klasse. Das Kapital hatte Respekt vor dieser Arbeiterklasse. Konfrontativ wollte es ihr nicht mehr begegnen, das brachte nichts. Das Kapital war in der Lage der alten Griechen zum Ende des Trojanischen Krieges: Patt der streitenden Parteien. Die Griechen ersannen das „Trojanische Pferd“. Und das Kapital?

Keine Diskriminierung des Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat: Was bedeutet das für ihn? Damals erhielt ein Aufsichtsratsmitglied den zwanzigfachen Lohn eines Mitarbeiters. Ex-Bundespräsident Rau sprach in seiner Abschiedsrede, dass er solche Entlohnung als leistungsgerecht empfand. Als er ging, war es das Hundertzwanzigfache. Das hielt er für – unanständig. Wie viel es heute ist, darüber streiten sich Experten. Weniger ist es nicht, das Doppelte kommt der Wahrheit näher.

Versetze dich, lieber Leser, in die Haut eines fleißigen Gewerkschafters, der treu die Belange seiner Kollegen vertrat, aufsieg in der Gewerkschaftshierarchie und dann in den Aufsichtsrat gelangt – plötzlich verdient er (ganz rechtmäßig) vielleicht das Zweihundertfache seiner Kollegen! Er erhält auch jeden „Bonus“ eines Aufsichtsrates, bekommt Zugriff zu Wissen, von dem er früher nicht träumen konnte! Muss das nicht sein „Klassenbewusstsein“ ankratzen? Ist das Hemd nicht immer näher als der Rock?

Ich folgere: Dieses „Trojanische Pferd“ hat seine Wirkung getan. Ein gewisser Herr Hartz kam aus der Gewerkschaft, ehe er die „Hartzgesetze“ ersann. Ein Herr Hansen hat gerade die Gewerkschaft „Transnet“ verlassen und denkt als Personalchef der Bahn über Entlassungen nach. Kaum ein „Arbeitnehmer“ fühlt sich noch als Angehöriger der „Arbeiterklasse“. Propagiert wird von „unabhängigen, überparteilichen“ Medien, wie der Arbeiterjunge Schröder vor dem Kanzleramt stand und an den Toren rüttelte: „Ich will hier rein!“ Das schaffte er auch – heute ist er selbst darüber hinaus. Die Vereinzelung der Menschen wurde propagiert. Und der „unabhängige, überparteiliche“ Blätterwald fällt über den einzelnen Gewerkschafter Brsiske her, der einen „Ehrenkodex“ verletzt habe. Wie soll der aussehen? Gegen Recht und Gesetz verstieß er nicht, höchstens gegen Gefühle der Menschen, die er vertreten soll. Wie wäre diesem Konflikt beizukommen?

Die Gewerkschaften haben Regeln, dass von Einkommen, welche durch Zugehörigkeit zur Gewerkschaft zustande kommt, 90 % an sie abzuführen sind. Reporter sind gelaufen (im Fernsehen zu sehen) und fragten nach diesem Geld: Dort, wo es eingehen müsste und dort, wo es „verdient“ wird. Stiftungen der Gewerkschaften wissen nicht, wie viel sie einnehmen müssten. Es kommt einiges, ob es die richtige Höhe hat – Schulterzucken. Reporter klingeln auch an den Haustüren der Gewerkschaftsfunktionäre. – Das ist Privatsache, keine Auskunft. Da frage ich mich: Ist da was vergessen worden?

Schwierig ist die Antwort. Wie soll sie aussehen, ohne „Persönlichkeitsrechte des Menschen“ zu verletzen? Freiwilligkeit der Angabe soll leisten, dass der Beschluss umgesetzt wird, die Gewerkschaft 90 % solcher „Bezüge“ erhält?

Dabei denke ich: Es ist ganz einfach. Wer einen Beschluss nicht umsetzt, gehört nicht in die Organisation, welche ihn gefasst hat. Das ist Disziplin, ohne die auch in einer Demokratie nichts geht. Jeder muss beweisen, dass er ihn umsetzt. Bringepflicht!

Wenn die Gewerkschaft (oder jede andere Organisation in ähnlicher Lage) nicht den Mut findet, konsequent mit ihren Spitzen umzugehen, dann wird das „Trojanische Pferd“ der Korruption weiter alle Organisationen zersetzen, welche angetreten sind, die Verhältnisse ändern zu wollen im Sinne ihrer schwächsten Glieder.

Weiß jemand Besseres?                

 

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