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Mobilisierung
 

„Agenda Klassenkampf - wie lange hält der soziale Friede?“

Interview mit Malte Kreuzfeld

Hörprotokoll der Sendung vom 09. März 2005 bei HR2 – „Der Tag“. Aufgeschrieben von E. Hesse und R. Spitzer

Mentzer: „Was muss denn passieren, damit sich das vorhandene Protestpotential aktualisiert, artikuliert? Fragen wir nach, bei einer Organisation, die sich derzeit wohl am ehesten Protestbewegung nennen dürfte. Malte Kreuzfeld ist Sprecher von Attac Deutschland und jetzt zu Gast im Studio. Schönen Guten Abend Herr Kreuzfeld.“

Kreuzfeld: „Guten Abend“

M: „Herr Kreuzfeld, wir alle haben in der Schule gelernt, diesen Lenin - Spruch, demzufolge der deutsche Revolutionär einen Bahnhof nur mit Bahnsteigkarte stürmt. Horten Sie schon Bahnsteigkarten bei Attac?“

K: „Ne, Bahnsteigkarten horten wir nicht, wir hoffen auch, dass sich da mal was dran ändert. Wir horten im Moment Busfahrkarten, weil wir eine große Demonstration in Brüssel am 19. März haben – nächste Woche also.“

M: „Die Zeiten ändern sich.“

K: „Genau“

M: „Können Sie sich denn vorstellen, dass sich aus diesen jetzt noch 5,2 Millionen Arbeitslosen so etwas wie ein wirkliches Protestpotential entwickeln könnte?“

K: „Ja, das wird zwangsläufig so sein. Wir haben ja heute in dieser Sendung schon viele sehr gute Argumente dafür gehört, wie viel verkehrt läuft, wie die Ungleichverteilung immer größer wird, wie bei steigendem Reichtum viele Menschen immer ärmer werden. Und dass die Menschen sich das nicht unendlich lange gefallen lassen, liegt irgendwie auf der Hand. Aber es ist eben noch ein weiter Schritt von Wut und Enttäuschung und Frustration hin zu einer tatsächlichen Aktion und da liegt eben der entscheidende Schritt. Die Leute, die eben jetzt frustriert sind, tatsächlich dazu zu bringen, dass sie aktiv werden, und dass sie eben auch in einer Form aktiv werden, zusammengeschlossen, koordiniert, dass es auch Konsequenzen hat.“

M: „In welcher Rolle sehen Sie denn Attac, bei diesem Prozess?“

K: „In einer mehrfachen Rolle. Zum einen ist eben Aufklärung ein ganz wichtiger Schritt dafür. Was in dieser Sendung verbreitet worden ist, ist ja bei weitem noch nicht Konsens. Der Mainstream erzählt uns immer noch, dass es allen besser geht, dadurch, dass die Löhne sinken, und dass die Arbeitszeiten länger werden, und dass Ungleichheit was Gutes und Notwendiges ist. Die Aufklärung über die Zusammenhänge ist etwas ganz wichtiges. Es ist aber auch wichtig, dass dann, wenn sich Protest regt, der irgendwie unterstützt wird. Da sind auch die Gewerkschaften in einer wichtigen Rolle, finde ich, die zum Beispiel bei den Montagsdemonstrationen, wo es ja erstmals in Deutschland spontan entstandenen Protest gegeben hat teilweise diese Bewegung auch ein bisschen im Stich gelassen haben. Wo man sagen muss, die großen Akteure müssen auch merken, dass nicht von alleine die Dinge sich entwickeln, sondern dass es da auch eben strategisches Herangehen braucht. Das Protest eben auch, mit einer strategischen Ausrichtung politisch verbunden werden muss. Und wir brauchen eben damit solche Proteste keine Strohfeuer bleiben, möglichst breite Bündnisse, dass alle, die von Sozialabbau und von Umverteilung in die falsche Richtung betroffen sind, sich zusammenschließen. Die Studierenden, die mit Studiengebühren zur Kasse gebeten werden, die Kranken und Alten, die für ihre Krankheit und ihr Alter bestraft werden sollen, ebenso wie die Arbeitslosen, und auch die, die noch Jobs haben, aber durch diese Drohung immer stärker unter Druck gesetzt werden länger zu arbeiten, und für weniger Geld zu arbeiten. Alle diese Betroffenen müssen sich eigentlich zusammenschließen, nur dann haben sie eine Chance auf Erfolg.“

M: „Aber wie kann das gehen, also Attac ist ja nun doch mal eine Bewegung, die sehr stark von jungen Menschen getragen wird, die auch einen gewissen intellektuellen Einschlag hat. Wie kommen Sie an den gekündigten Bauarbeiter in Hoyerswerda, oder an die arbeitslose Verkäufern in Offenbach heran?“

K: „Das ist in der Tat ein Problem, dass überhaupt Arbeitslose keine Lobby haben, in Deutschland bisher. Arbeitslosigkeit ist lange Zeit als individuelles Versagen, oder Problem betrachtet worden, und es gab kaum Organisationen, die das da aktiv auch als gesellschaftliches Problem angesehen haben. Da tut sich aber ein bisschen was. Es sind in vielen Städten neue Bündnisse entstanden. Sozialforen, soziale Bündnisse, wo sich Leute aus Kirchen, aus Attac, aus Gewerkschaften, aus Kapitalismuskritischen Gruppen und eben auch Attac mit dabei zusammengeschlossen haben, wo es diese neuen Kontakte gibt. Das ist noch im Entstehen, aber solche Prozesse entwickeln sich eben auch langsam.“

M: „Die Frage ist natürlich, ob das – sagen wir mal, eine Deutsche Bank, ob das Siemens überhaupt kratzen wird, oder ob die nicht sagen werden: Naja, in so unfreundlichen Verhältnissen mögen wir dann auch nicht mehr arbeiten. Sozialer Frieden war ja auch ganz schön gemütlich in Deutschland. Wenn dem nicht mehr so ist, gut dann gehen wir eben nach London, oder weiß ich sonst wohin.“

K: „Ja, und da kommt man da dahin, dass es eben einerseits wichtig ist, dass so eine Bewegung international agiert. Das ist noch viel zu schwach ausgeprägt. Auch die Gewerkschaften sind ja überwiegend noch auf den nationalen Rahmen konzentriert. Es gibt so eine internationale Bewegung, die aber noch nicht in der Form handlungsfähig ist, dass sie gemeinsam zu den gleichen Themen zeitgleich aktiv ist. Das wird noch ein Prozess sein, das sie es eben hinkriegen, dass die Menschen in den verschiedenen Ländern sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.“

M: „Lassen Sie mich da einhaken, dass ist glaube ich, ein Kernproblem. Läuft so eine globalisierte Bewegung nicht Gefahr, sich einfach zu überdehnen. Also ist es nicht tatsächlich so, dass dem deutschen Opelmitarbeiter sein eigenes Hemd sehr viel näher ist, als die Hose des Kollegen in, ich weiß nicht, Tschechien.“

K: “Gerade Opel ist ja ein Beispiel dafür, dass es erstmals ansatzweise so was gegeben hat, Konzernweite Solidarität, dass sie versucht haben, die Werke in Schweden und in Deutschland nicht so stark gegeneinander ausspielen zu lassen. Natürlich ist es zum Teil passiert, aber das ist die Richtung, in die es gehen muss. Das wir sagen, wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen, und ich glaube auch, dass die Unternehmen da gar nicht so stark sind, weil diese vernetzte und globalisierte Welt ist für die ja auch eine Gefahr. Das hat auch der Fall Opel gezeigt. Ein Streik in dem Werk in Bochum hat die Produktionskette weltweit lahmgelegt, weil sie so spezialisiert sind, dass diese Teile überall gebraucht werden. Das heißt, die Konzerne sind auch angreifbar zum einen durch solche Dinge, wie Streiks, auch heutzutage noch. Zum anderen aber auch durch den Verlust an ihrem Image, was sie erleben. Die Deutsche Bank hat es ja gerade erlebt, dass sie Kapitalrenditen von 25 % anstreben, und gleichzeitig Leute entlassen, das auch bei den Menschen schlecht ankommt. Ich glaube, dass auch da noch ein Potential ist, wo dran man arbeiten muss, die Konzerne auch eben bei ihrem Ruf und bei den Konsumentenboykotts zu kriegen und sie eben auch darauf achten müssen, dass sie sich ihrer sozialen Verantwortung noch nicht vollkommen entziehen können.“

M: „Also moderne Protestformen würden beides beinhalten: Klassische Gewerkschaftliche organisierte Kampfformen, wie auch dann Marketingunternehmungen, Boykottaufrufe, all solche Dinge, die vielleicht von gewerkschaftlicher Seite gar nicht so richtig, die sie gar nicht so auf dem Schirm haben.“

K: „Ich denke in der Tat, ja diese Herausforderung ist so stark, diesem globalen Finanz- und Firmenkapital, was entgegen zu setzen, dass es da eine Vielzahl von Mitteln brauchen wird. Man kann es aber nicht ganz genau sagen, denn eben diese Montagsdemonstrationen sind auch vollkommen spontan und unerwartet entstanden. Neue Protestformen entwickeln sich auch relativ schnell. Die Pflanze wächst jetzt nicht schneller dadurch, dass wir dran ziehen, man muss auch ein bisschen schauen, was da passiert. Und wenn sich aber so ein Fenster öffnet, und man die Möglichkeit hat anzugreifen, dann sollte halt die Informations- und Infrastruktur da sein, dass so eine Protestbewegung dann auch erfolgreich loslegen kann.“

M: „Wenn sie über genügend Bahnfahrkarten, oder Busfahrkarten verfügt. Vielen Dank, das war Malte Kreuzfeld, Sprecher von Attac Deutschland.“

 

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