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Mobilisierung
 

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1 (1)

Arbeit, Brot und Menschenwürde

Rainer Thiel

„Kannste dir für Würde was kaufen? Ich wär froh, wenn ich mal hundert Euro extra hätte. Mein Dennis wird zwölf und braucht ein Fahrrad.“ So sprach der langzeitarbeitslose Maurer zu dem Rentner, der keine Angst vor Gesetzbüchern hat und ihm mit Artikel 1 gekommen war.

Also sagte der Rentner dem arbeitslosen Maurer: „Wenn deine Würde geachtet würde, ständest du ganz anders da. Du lässt dir gefallen, dass du dein täglich Brot beim Amt beantragen musst, wenn du nicht verhungern willst. Du hast doch mal gutes Geld gekriegt für deine Arbeit.“ Der Rentner dachte: Pass auf, jetzt denkt der Maurer gleich, du willst ihn verarschen. Lad ihn ein zu einem Bier. Tu es schnell und sag ihm auf der Stelle: „Du kannst arbeiten, du willst arbeiten, du bist gegen deinen Willen arbeitslos.“

Da fing der Maurer an zu erzählen von den Häusern und den Garagen, die er gebaut hat, und wie manche Kunden die Zahlung verschleppten.  Endlich langten die beiden Männer in der Kneipe an. Wo der Maurer früher forsch nach seinem Bierchen gerufen hatte, gab er sich jetzt schüchtern. So hatte der Rentner kein Problem, seine Meinung zu sagen: „Die Wirtschaft, die wir haben, hat dir deinen Job geklaut. Und jetzt stellt sich die Wirtschaft hin und lässt ein Gesetz machen, da steht oben drauf, du musst gefordert werden, verstehst du, gefördert wirst du nicht, aber gefordert, als wärst du zu faul zum Arbeiten. Du wirst verleumdet. Da ist dir die Würde genommen. Wenn schon der Markt dir den Arbeitsplatz nimmt, müsstest du volle Entschädigung kriegen, plus Schmerzensgeld für den Ärger.

Stattdessen wird dir auch noch die Würde geklaut. Aber das ist nur der erste Streich.“ Bitte noch ein Bier. „Jetzt musst Du der Behörde dein Sparbuch aufblättern. Das Bankgeheimnis ist gesetzlich geschützt. Das gilt sogar für Direktoren, aber nicht für dich. Man denkt, du hast was auf der hohen Kante, und jetzt willst du dir ein paar Kröten erschleichen. Das wird dir unterstellt, und das ist der zweite Streich.“ Der Maurer fällt ihm ins Wort: „Hör auf mit den Streichen, bestell lieber noch ein Bier, ich hab schon vergessen, was das ist.“ Da fragt der Rentner: Hast du inzwischen geheiratet?“ Ne sagt, der Maurer. Aber meine Olle besucht mich manchmal. Nich bloß wegen dem Dennis.“ Der Rentner erschrickt: „Hast du das beim Arbeitsamt gemeldet? Deine Olle muss nämlich jetzt für dich bezahlen, oder du kriegst Ärger mit dem Arbeitsamt.“ Darauf der Maurer: „Das geht die gar nischt an.“ Bitte noch ein Bier, sagt der Rentner, aber dann ist Schluss. „Ich will dir bloß noch sagen: Wenn jemand kommt vom Arbeitsamt und schnuppert an deinem Bett, ob das nach Frau riecht, dann muss deine Freundin das tägliche Brot für dich bezahlen. Und noch eins: Melde dein Telefon ab. Das Amt könnte dich anrufen, und wenn du drei Mal nicht zu Hause warst, dann kriegst du Ärger mit dem Amt. Mit Telefon bist du im Hausarrest. Die Wirtschaft hat dir nicht nur den Job genommen, sie hat dir auch dein Bier und deine Würde geraubt. Komm nächsten Montag mit zu unsrer Demo. Dort üben wir das Aufrechtgehen.“

 

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