André Gorz betrachtet es als den wesentlichen Charakter der ökonomischen Rationalität, Kosten und damit Arbeit als einzubringende Leistung einzusparen. Bezieht man nun Reproduktionsaufgaben in diese ökonomische Rationalität ein, so ist ihr Ziel primär ebenfalls Einsparung von Zeit. Wer Dienstleistungen kauft, will sich eigene Arbeitszeit, die er dafür aufbringen müßte, ersparen. Ökonomisch sinnvoll und für die breite Masse erschwinglich ist das aber nur dann, wenn das Geld für die Bezahlung der Dienstleistung schneller verdient ist als die eigene Vollbringung dieser Dienstleistung in Anspruch nehmen würde. In einer Gesellschaft, in der die Schere zwischen Gutverdienenden und an den Rand des ökonomischen Prozeß gedrängten immer weiter auseinander klafft, ist das allerdings nicht unbedingt so. André Gorz schreibt: "Die professionelle Elite wird es ablehnen, einen Teil ihrer Arbeit und der mit ihrem Arbeitsplatz verbundenen Vorrechte und Machtpositionen abzugeben. Sie kann daher ihre eigene Freiheit nur dadurch vergrößern, daß sie Dritte anstellt, um ihr verfügbare Zeit zu verschaffen. ... Sie wird solche zeitersparenden Dienstleistungen und Ausrüstungen auch dann kaufen, wenn diese mehr Zeit zu ihrer Produktion erfordern, als sie einem durchschnittlichen Verbraucher ersparen. Sie wird somit Aktivitäten entwickeln, die auf gesamtgesellschaftlicher Ebene keine ökonomische Rationalität besitzen; denn sie erfordern von denen, die sie ausführen, mehr Arbeitszeit, als sie denen einsparen, die in ihren Genuß kommen. Diese Aktivitäten sind nichts anderes als Dienstboten-Tätigkeiten, welches auch immer ihr sonstiger Status und die Form ihrer Entlohnung sein mag." Die starke Zunahme prekärer und zwangsweise "flexibler" Arbeitsverhältnisse gibt dieser Prognose recht.
André Gorz schlägt vor, die Freisetzung von Arbeitsplätzen positiv zu nutzen, indem die vorhandene Arbeit gerechter aufgeteilt wird und alle damit über mehr freie Zeit verfügen. In dieser freien Zeit könnten dann Reproduktionsaufgaben und diverse Dienstleistungen die bereits ökonomisiert sind in Eigenarbeit zielführender erbracht werden. Wesentlich beim Konzept von Gorz ist, daß die Reduzierung von Arbeitszeit ohne realen Lohnverlust geschafft werden soll. Da das auf Kosten der Betriebe nicht möglich ist, schlägt er eine für den Export unwirksame Produktsteuer auf jene Produkte vor, bei deren Produktion am meisten Arbeitszeit eingespart wird. Was er damit vorschlägt, ist ein System politischer Preise, das bewußt die Umverteilung von Arbeit und den Gewinn an freier Zeit in die Preisgestaltung einbezieht und eine größere Souveränität des Individuums zum Ziel hat. Der Lohn würde sich dann aus dem der Arbeitszeit entsprechenden Anteil und aus einer Aufzahlung aus dem aus der Steuer gespeisten Garantietopf zusammensetzen. Diese Entkoppelung von geleisteter Arbeit und Einkommen unterscheidet sich von den Vorschlägen eines Grundeinkommens für alle durch seine Koppelung an das gesamtgesellschaftliche Arbeitsvolumen. Sie entgeht damit der Gefahr einer sozialpolitischen Beruhigung der vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Massen, die zudem Gefahr läuft, den Grundeinkommensempfänger zur Erlangung eines durchschnittlichen Lebensstandards in die oben erwähnten prekären Dienstbotenposten zu drängen.
Es geht hier nicht darum den Vorschlag André Gorz im einzelnen zu diskutieren und über seine Durchführbarkeit heute ein Urteil abzugeben. Die Grundtendenz, daß die Gesamtzahl gut bezahlter Vollarbeitsplätze abnimmt, während die Spaltung der Gesellschaft in Reiche und Arme zunimmt, scheint sich aber immer mehr zu bestätigen. Trotzdem werden Konzepte zur Aufteilung der vorhandenen aber immer weniger werdenden Arbeit kaum diskutiert. Die aktuelle Politik setzt weiter auf die Ausweitung von Arbeitsplätzen und geht in allen oben skizzierten Bereichen in Richtung einer Verschärfung. Einerseits wird der Konkurrenzkampf der Giganten durch Einschwörung auf den freien Markt als alleiniges Kriterium verstärkt. Auf der anderen Seite arbeiten die Maßnahmen zur Pensionssicherung einer gerechteren Verteilung von Arbeit entgegen. Einerseits soll die Lebensarbeitszeit verlängert werden, andererseits führt die angestrebte Bemessungsgrundlage auf Basis des Lebensverdienstes zu einer Verstärkten Koppelung von Lebensarbeitszeit und Lebenseinkommen.
André Gorz warnt im Schlußwort vor einer weiteren Verschärfung ungerechter Wohlstandsverteilung. Wenn nicht ernsthaft an Lösungen gearbeitet wird, "werden sich die Gesellschaften weiter spalten, zerfallen und immer tiefer in Gewalt, Ungerechtigkeit und Angst absinken". Betrachtet man die Politik der Inneren Sicherheit in der Europäischen Union, so scheint man sich auf diese Zustände vorzubereiten.
Manfred Gmeiner
Quelle: mediaweb.at
André Gorz, dessen Geburtsname eigentlich Gerhard Hirsch ist, wurde 1924 in Wien geboren und lebt als Philosoph und Publizist in Frankreich. Gorz wechselte im Laufe seines Lebens mehrmals seinen Namen, anfänglich um in den 30er Jahren der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Während des zweiten Weltkrieges hielt Gorz sich, aufgrund seiner jüdischen Abstammung, im Schweizer Exil auf und begann ein Chemiestudium an einer Ingenieurschule in Lausanne, währenddessen er auch philosophische Essays und politische Artikel für eine Schweizer Genossenschaftszeitschrift schrieb.
Bei einer Vortragsreise Sartres durch die Schweiz kam es zu ersten Begegnung beider, woraus sich eine literarisch-philosophische Zusammenarbeit entwickelte. 1949 zog es Gorz nach Frankreich, wo er zunächst unter anderem als Pressereferent und Militärattaché tätig war, aber bald Redakteur in bei einer Zeitung namens "Paris Presse" wurde; zu dieser Zeit taucht auch erstmals der Name Gorz auf, denn von jetzt an erfolgten seine journalistischen Veröffentlichungen unter dem Namen Michel Bosquet, seine sozialphilosophischen unter André Gorz. 1956 nahm Gorz die französische Staatsbürgerschaft an. 1960 schließlich wurde er Redaktionsmitglied der von Sartre und de Beauvoir gegründeten Zeitschrift "Les Temps Modernes". In den 60er Jahren war Gorz politisch besonders aktiv und schuf sich einen Ruf als Theoretiker der Arbeiterselbstverwaltung und gilt seit den 70er Jahren als Befürworter der politischen Ökologie.
Im Mittelpunkt aktuellerer Publikationen steht Gorz' Begriff der Emanzipation als einer Befreiung, die die industrialistische Tradition der Linken zugunsten einer politischen Moral von Autonomie und Gemeinsinn hinter sich läßt. Zentrale Themen bleiben aber distributive Überlegungen über Wissen und Arbeit.
Quelle: www.Wikipedia.de