Vom Monolog zum Dialog
Die Bundesrepublik (und auch Europa) benötigt eine neue Vision für das gesellschaftliche Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen
Yaşar Mert
Es ist wieder passiert. Es wurde wieder über Sie und nicht mit ihnen gesprochen. Das wohlbekannte Muster der Anpassung fordernden Mehrheitsgesellschaft hat auch im Falle der Ausschreitungen in den französischen Städten funktioniert. Es ist eine Art chronischer Krankheit. Waren es doch zuvor die Kinder pakistanischer Einwanderer in Großbritannien oder die vermeintlichen Hassprediger in Deutschland, es sind nun die Kinder bzw. Enkel nordafrikanischer Einwanderer welche den Stein des Anstoßes darstellen. Sogleich treten hierzulande die wohlbekannten und so genannten Experten aus Politik und Medien a la Tibi oder Schönbohm hervor und prophezeien ähnliche Zuständen in Deutschland wenn nicht vorbeugend gehandelt werde. Sie sprechen über gesellschaftliche Gruppen die sie scheinbar nicht wirklich kennen. Sie vergessen, dass sie über einzelne Menschen sprechen – Menschen die eine Würde haben, Menschen die auch Achtung verdienen. Stattdessen werden Forderungen über Forderungen gestellt – reiner Populismus der vollkommen an den gesellschaftlichen Realitäten der Bundesrepublik vorbeigeht.
Die Realität stellt sich ganz anders dar: meine Generation (Kinder der sog. ersten Gastarbeitergeneration) ist schon längst heimisch geworden in Deutschland – obwohl wir weiterhin von der Mehrheit als „Migranten“ oder „Ausländer“ betrachtet werden. Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft – mit unserer Kultur, unserer Religion und unserer Sprache. Wir haben Wünsche und Träume welche wir auch in dieser Gesellschaft verwirklichen möchten. Wir haben Kinder denen wir eine lebenswerte Zukunft geben möchten. Wir haben Unternehmen mit denen wir zum wirtschaftlichen Wohl beitragen möchten. Wir sind als Akademiker, Sportler, Künstler und Arbeiter unzertrennlicher Teil dieser Gesellschaft geworden.
Was wir nicht möchten sind Monologe und Ignoranz in denen über uns gesprochen und von uns gefordert wird. Wir möchten nicht, dass man über uns urteilt ohne mit uns zu sprechen. Wir möchten nicht, dass andere für uns sprechen.
Für eine Zukunft in der alle gesellschaftlichen Gruppen zusammen und in Frieden miteinander leben können, muss sich insbesondere der Diskurs in der Öffentlichkeit mit den gesellschaftlichen Minderheiten ändern. Man muss mit ihnen und nicht über sie sprechen. Es müssen ein Dialog und kein Monolog stattfinden. Eine neue gesellschaftliche Vision für das Zusammenleben ist erforderlich – eine Vision die an alle Beteiligten Forderungen stellt und gleichzeitig gleichberechtigte Rechte vergibt. Weiterhin müssen wir in der Politik, in den Medien und besonders in der öffentlichen Verwaltung repräsentativer werden – sonst werden wir die derzeitige Situation nicht überwinden können. Oder kann man behaupten, dass die Landtage und auch der Bundestag für die über 15% Bürger nicht-deutscher Herkunft repräsentativ sind?!
Dieses Herausforderung für die nächsten 10-20 Jahre birgt gleichzeitig sowohl enorme Chancen und Risiken in sich – es ist unsere Entscheidung! |