RV- Altersgrenzenanpassungsgesetz
(BT-Drucksache Nr. 16/3794 vom 12.12.2006)
Teil 1
von Dieter Bauer , Senioren-AK IG-Metall Vwst. Erfurt, DGB-Landesseniorenbeirat Th., dessen Vertreter in der AG der DGB-Bezirke der neuen Länder und in der Koordinierungsgruppe der Erfurter Verbände und Organisationen
März 2007
Dieses Gesetz enthält eine Reihe von Festlegungen, die zur nachhaltigen Senkung des Leistungsniveaus der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) führen.
Das Hauptanliegen dieses Gesetzes, die stufenweise Einführung der „Rente mit 67“ wird von den Sozialverbänden und Gewerkschaften einmütig als weiteres Instrument der Leistungskürzung abgelehnt.
An dieser Stelle soll eine Festlegung dieses Gesetzes näher betrachtet werden, um den Charakter der „Reformen“ zu verdeutlichen und auf den Widerspruch zwischen dem vorgegebenen Ziel und der Wirklichkeit hinzuweisen.
Auf Seite 7 der Drucksache Punkt 20. wird der § 68a „Schutzklausel“ Absatz 1 bis 4 eingefügt und tritt lt. Artikel 27, Abs. (6) Seite 26 mit Wirkung 1. März 2007 in Kraft.
Mit dieser neuen Regelung wird bei einer positiven Lohnentwicklung und zusätzlich auch einer mit Riester- und Nachhaltigkeitsfaktor und den neuen Basisdaten der „Äquivalenzbeitragszahler“ berechneten Rentenwertsteigerung diese nur zur Hälfte wirksam.
Eine mögliche Rentenwerterhöhung wird halbiert.
Was ist der Hintergrund?
Die Formel zur Berechnung der jährlichen Rentenwertanpassung wurde in den vorangegangenen „Reformen“ um den „Riesterfaktor“ und um den „Nachhaltigkeitsfaktor ergänzt. Die Faktoren bewirken eine Abschwächung der Rentenwertanpassung und koppeln so die Rentenentwicklung von der Lohnentwicklung immer weiter ab.
Den „Reformern“ war das offenbar nicht sicher genug, denn sie haben auch die Basisdaten der Berechnung grundlegend verändert.
Das wird nie erwähnt. Es wird der Eindruck vermittelt, die Ergebnisse der Berechnungen zur Rentenwertanpassung seien ein völlig korrektes und zwangsläufiges Produkt der Arbeitsmarktentwicklung.
Aber genau das ist falsch.
Was wurde bei den Basisdaten verändert?
- Es wurde nicht mehr die Bruttolohn- und –gehaltssumme den Berechnungen zugrunde gelegt, sondern nur noch die beitragspflichtigen Entgelte, die sich schwächer entwickeln. Bruttolöhne sind aber die Basis der Beitragsleistungen.
- Es werden nicht mehr die Beamten als Arbeitnehmer berücksichtigt, sondern an ihrer Stelle die „Ein-Euro-Jobber“. Die „Ein-Euro-Jobber“ sind arbeitsrechtslose Pflichtarbeiter, die dem Sozialrecht unterliegen. In der Rentenberechnung haben sie absolut nichts zu suchen!---------------- à Allein durch die Einbeziehung der über 200 000 „Ein-Euro-Jobber“ in die Berechnungsbasis der Rentenwertentwicklung des Jahres 2005 sank die Rentenanpassung um über 0,6%! Die Folge: Erstmals seit Adenauers großer Reform 1957 hätte die Rente wegen der neuen Berechnungsbasis gesenkt werden müssen.
Wie wirkt die „reformierte“ Rentenwertberechnung?
Den „Reformen“ liegen Annahmen für die Entwicklung in der (nahen, mittleren und fernen) Zukunft zugrunde. Die Zielgenauigkeit dieser Annahmen lässt sich sehr gut an den für die unmittelbaren Folgejahre angenommenen Werten der Lohn-, Wirtschafts- und Inflationsentwicklung in der Abb. 1, Seite 91 des Rentenversicherungsberichtes 2004 ablesen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass diese Art „Reformen“ nicht zuverlässig sind und sich fortsetzen müssen, solange noch ein Rest GRV existiert.
So ergab 2005 bereits die erstmalige Anwendung des „Nachhaltigkeitsfaktors“ zusammen mit dem „Riesterfaktor“ und den neuen Basisdaten der Rentenwertberechnung bei einer zugrunde gelegten Lohnsteigerung von 0,12% in den alten Ländern eine Absenkung des Rentenwertes von -1,23%.
Ohne die Schutzklausel hätte eine Rentenkürzung von 1,11% stattfinden müssen.
Im Jahr 2006 ergab sich das gleiche Bild.
Für die ca. 20 Mio. RentnerInnen und alle fast 10 Mio. Sozialgeldempfänger, deren Einkommen per Gesetz an die Rentenentwicklung gekoppelt ist, gab es Nullrunden. Die wie beschrieben berechneten „Anpassungsdämpfungen“ (z.B. im Jahr 2005 1,11%) sollen solange nachgeholt werden, bis ihre volle Dämpfungswirkung erreicht ist. Die oben beschriebene Verfahrensweise wird Rentenwertanpassungen zur Folge haben, die sich von Nullrunden kaum unterscheiden und den Realwert der Renten unwesentlich beeinflussen.
Aus der veränderten Berechnungsbasis allein ergibt sich schon die Minusanpassung. Die reale Lohnentwicklung wird von den neuen Basisdaten nur abgeschwächt abgebildet. In der Öffentlichkeit wird dieser Zusammenhang verschwiegen. Es wird der falsche Eindruck vermittelt, wir unterlägen einem unausweichlichen Naturgesetz. Ebenso wie die Bruttolöhne die Basis für die Beiträge sind, haben sie auch die Basis für die Leistungsberechnung zu sein. In diesen Berechnungen haben die Einkommen von Sozialgeldempfängern grundsätzlich nichts zu suchen, denn es sind keine Erwerbseinkommen; Sie unterliegen weder der Steuer- noch der Sozialabgabepflicht.
Diese Zusammenhänge sollten den Menschen vermittelt werden, um zu erhellen, dass dieses Gesetz weder Alternativlos, noch gerecht und schon gar nicht im Interesse der morgigen Rentner, der heutigen Beitragszahler ist.
Die Bundesregierung verfolgt als Hauptziel einen Beitragssatz, der bis 2020 unter 20% liegen soll. Das Rentenniveau soll dann 46% der Nettoeinkünfte nicht unterschreiten. Nun wird diesen Betrachtungen wieder eine theoretische Größe, der sog. „Eckrentner“ zugrunde gelegt. Im Jahr 2020 dürfte der „Eckrentner“ zu einer ausgestorbenen Spezies gehören. Wer hat denn noch die Chance auf eine geschlossene Erwerbsbiografie?
Folglich wird das reale Niveau der Alterssicherung eines sehr großen Bevölkerungsteiles das Sozialhilfeniveau bzw. die Grundsicherung erreicht haben, also den Stand der Bettler.
Die Beitragsstabilität sei wegen der Generationengerechtigkeit notwendig. Dass für jüngere Menschen die private Altersvorsorge eine weit höhere finanzielle Belastung darstellt, wird verschwiegen.
Wie verändert sich der Realwert der Renten bei Nullrunden?
Inflationsentwicklung in Deutschland
1995 |
96 |
97 |
98 |
99 |
2000 |
01 |
02 |
03 |
04 |
05 |
06 |
07 |
1,8% |
1,6% |
1,9% |
1% |
0,9% |
1,4% |
2% |
1,4% |
1,1% |
1,6% |
2,2% |
1,7% |
ca.1,7% |
Der Realwert der Nettorenten seit 2003 ergibt sich aus der Summe der Inflationswerte von 2003 bis 2007 und den erhöhten Beiträgen für die Krankenkasse und die Pflegebeiträge. Je nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten Krankenkasse kann der Wert nach oben und unten geringfügig abweichen.
Der Wert der Inflation 2007 entspricht den aktuellen geschätzten Angaben.
Die Inflation seit 2003 beträgt 8,3 %
Die Beitragserhöhungen der Kranken- und Pflegeversicherung betragen 1,79%
Der Realwertverlust der Renten aus der Gesetzlichen Rentenversicherung 10,09%
Die Kaufkraft der Renten ist in nur 5 Jahren um 10% gesunken!
Die Kosten für privatisierte Krankenkassenleistungen (Zahnersatz, Hörgeräte usw.) sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Damit ist die Absenkung des Rentenwertes stärker, als es durch den Riester- und Nachhaltigkeitsfaktor vorgesehen war.
Bei den geplanten weiteren Belastungen durch die „Reformen“ mit erhöhten Beiträgen zur Pflege- und Krankenversicherung und bei gleich bleibender Nettobelastung von 2% jährlich und den geplanten weiteren Nullrunden ohne Inflationsausgleich oder Rentenanpassungen weit unter Inflationsniveau sinkt die Kaufkraft in den nächsten 5 Jahren bis zu 20% weiter so rasant.
Bis zum Jahre 2020 z. B. ist der Realwert der Renten um 37% gesunken, d.h. 1000 Euro Rente haben dann den Wert von 630 Euro.
Nach den Angaben der Versicherung war die Absenkung des Netto-Rentenniveaus bis 2020 von 52,4% auf 46% bzw. um ca. 12% geplant.
Das Rentenniveau sinkt dreimal so schnell wie geplant!
Bekam ein Neurentner mit 45 Entgeltpunkten (EGP) im Jahr 2003 eine Netto- Altersrente von
Alte Länder 990,30 Euro neue Länder 871,37 Euro,
wird der Realwert dieser Netto- Renten bei Rentenbeginn 2020 abgesunken sein auf
Alte Länder ca. 623 Euro neue Länder ca. 549 Euro.
Also auch die künftigen Rentner müssen, obwohl ihnen lebenslänglich ca. 20% ihres Lohnes (bedenke: Arbeitgeberanteil ist vorenthaltener Lohn) in die GRV abgezogen wurden, mit einer Armutsrente auskommen!
Was ist die privat finanzierte zusätzliche Alterssicherung später noch wert? Die Inflation entwertet auch sie. Die demografische Entwicklung wirkt auch hier. Kein Problem ist wirklich gelöst.
Was hat das mit Generationengerechtigkeit zu tun?
Dass die Generationengerechtigkeit nur der Vorwand ist, ergibt sich auch aus dem Kosten/Leistungsverhältnis der privaten Vorsorge.
Das wahre Ziel ist das Milliardengeschäft der Versicherungen, die Kostensenkung der Unternehmen und der Rückzug des Staates aus seinen Verpflichtungen um auch diese frei werdenden Milliarden den Unternehmen schenken zu können (siehe Druck- sache Seite 3, D. Finanzielle Auswirkungen) in Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerreform.
Die enorme Rentenwert senkende Wirkung der Nullrunden bleibt bei allen offiziellen Betrachtungen völlig unberücksichtigt. Als wäre diese Wirkung nicht vorhanden, wird der Rentenwert mit allen Mitteln weiter von der Einkommensentwicklung abgekoppelt und das Niveau künftiger Renten unabhängig von der Höhe der lebenslangen Versicherungsleistungen in den Keller gefahren.
Die beschleunigte Senkung des Realwertes der Netto- Renten führt zur Enteignung ganzer Geburtenjahrgänge, deren lebenslange Beiträge in die GRV bei üblicher Verzinsung die ihnen später gewährten Rentenleistungen übersteigt. Die staatliche Gesetzliche Rentenversicherung ist zu einem Enteignungssystem „reformiert“ worden.
Damit überschreitet der Gesetzgeber in verfassungswidriger Weise seinen Gestaltungsspielraum.
Auch die Sanierung des Staatshaushaltes zu Lasten der Versicherten der GRV ist nicht hinnehmbar. Im Gutachten des Sozialbeirates zum Renten- und Alterssicherungsbericht 2005 ist der Sachverhalt deutlich dargestellt. Es ist besonders verwerflich, dass mit der Parole „ein Drittel der Renten wird heute schon aus Steuermitteln bezahlt“ der falsche Eindruck vermittelt wird, in diesem Umfang seien die Beiträge zur Finanzierung der Versichertenrenten zu niedrig. Völlig ausgeblendet wird die Tatsache, dass der Staat sich verpflichtet hat, Kindererziehungszeiten, Wehrdienst- und Wehrersatzdienstzeiten u. v. a. m. rentenrechtlich zu vergüten. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Anspruchsberechtigten dieser Leistungen nicht auch Pflichtversicherte der GRV sein müssen. Der Staat wälzt eigene Aufgaben auf die Gemeinschaft der Versicherten ab.
Von Bedeutung ist auch die Tatsache, dass durch das schnelle Sinken des Rentenniveaus eine große Anzahl Rentner zu Beziehern der Grundsicherung werden. Grundsicherung unterliegt wie Sozialgeld der gewährenden Gesetzgebung. Die Altersrenten sind ein vom Grundgesetz geschütztes Eigentum, da der Anspruch durch eigene Beitragsleistungen begründet wurde. Dieser Eigentumsschutz ist eine Bestandsgarantie. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das Ausmaß der Leistungssenkung und der Entkopplung von Beitragsleistung und Rentenleistung bedenklich. Die Erfahrung mit dem über Jahre nicht angepassten Sozialgeld, die Tatsache, dass Sozialgeldempfänger und deren Kindern ein uneingeschränkter Zugang zu Bildung, Gesundheit, Kultur u.a.m. nicht möglich ist und ihnen fundamentale Menschenrechte beschnitten werden, verdeutlicht die Zukunftsaussichten eines immer größer werdenden Teils vor allem der künftigen Senioren.
Den Betroffenen hat der Staat durch Sozialabgaben und Steuern teilweise schon im Erwerbsleben so tief in die Tasche gegriffen, dass ihnen nicht das Existenzminimum blieb und sie auf Wohngeld oder Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen waren. Ein Spielraum für eigene private Vorsorge ist kaum vorhanden.
Widerstand gegen Nullrunden und gegen eine Rentenentwicklung weit unter Inflationsniveau ist im Interesse der ca. 20 Mio. jetzigen Rentner, der fast 10 Mio. Sozialgeldempfänger und vor allem der künftigen Rentner dringend geboten.
Widerstand gegen Nullrunden ohne Inflationsausgleich ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen.
Das Bundessozialgericht hat erklärt:
„Das SGB VI verspricht dem Versicherten im Grundsatz ein im Wesentlichen durch Beiträge anderer Versicherter finanziertes staatlich garantiertes und durch eigene frühere Beiträge zu diesem Rentenversicherungssystem (oder durch gesetzlich gleichgestellte Leistungen) erworbenes subjektives Recht darauf, nach Eintritt des Versicherungsfalles eine dynamisierbare Rente nach der für den jeweiligen Versicherungsfall vorgesehenen Rentenart zu erhalten.“ (BSG, Az.: B 4 RA 33/98 v. 10.11.98, siehe „Neue Justiz“ Nr. 7/99, Seite 390). In einem weiteren Urteil hat das Bundessozialgericht zwar die „Nullrunde 2000“ „für rechtens erklärt“, jedoch ausdrücklich unterstrichen, dass ein derartiger Eingriff zumindest des Inflationsausgleichs bedarf.
Musterverfahren gegen Renten-Nullrunden der DGB- Rechtsschutz GmbH sind noch anhängig.
Das kann aber kein Grund sein, den Widerstand gegen Nullrunden ohne Inflationsausgleich oder Rentenanpassung unter Inflationsniveau noch weiter aufzuschieben!
Es geht um ein gesamtdeutsches Problem. Alle Verbände und Organisationen und alle Einzelgewerkschaften sollten die Zusammenhänge ihren Mitgliedern erläutern und in einem gemeinsamen Netzwerk den Widerstand organisieren. |