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Arbeit und Leben,
Grundsicherung
 

Die eigentliche Frage lautet: Welchen Sozialismus wollen wir?

11 schlechte Argumente gegen 11 gute Gründe für das BGE

Erklärung des SprecherInnenrats der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE zum Artikel „Die Linke muss die Machtfrage stellen, 11 schlechte Argumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ von Nele Hirsch - MdB, Robert Blättermann, Sonja Staack und Sandro Witt

"Es ist von erheblicher Komik, das Abgeordnete für sich in Anspruch nehmen, durch relativ hohe Gehälter ihre inhaltliche Unabhängigkeit zu wahren und sich nicht-erpressbar zu machen – dass die meisten dieser Abgeordneten es aber nicht für nötig halten, eine derartige Unabhängigkeit und Nicht-Erpressbarkeit auch für den Souverän, nämlich die Bevölkerung, zu gewährleisten. Was für Abgeordnete gilt, sollte auch für uns gelten. Nur die Garantie eines unabhängigen, qualitativ ausreichenden Existenzgeldes schafft für die Individuen die Voraussetzung, sich nicht um jeden Preis verkaufen zu müssen. Es gewährleistet ihre politische Freiheit; denn politische Freiheit heißt vor allem, sich nicht in erzwungene Kooperationen irgendwelcher Art hineinbegeben zu müssen." (Christoph Spehr: Gleicher als die anderen. Eine Grundlegung der freien Kooperation. Texte der RLS, Band 9, Berlin 2003, S. 105)

Mit ihrem Artikel versuchen die AutorInnen sich deutlich gegen das Grundeinkommen zu positionieren, lassen aber auch schemenhaft einblicken, welch autoritäre Sozialismus-Vorstellung sich hinter diesem Angriff verbirgt. Gleichzeitig werden Äußerungen gemacht, die für uns stark nach Verhöhnung eines großen Teils unserer Wählerbasis klingen.

Wie aus dem Artikel hervorgeht lehnen die AutorInnen eine bedingungslose Grundsicherung ab, weil sie sich scheinbar nicht vorstellen können, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik in Kombination realisiert werden können. Daher wollen sie lieber eine bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung plus aktive Arbeitsmarktpolitik und entscheiden sich damit lieber für ein Instrument, das Armut grundsätzlich nur suboptimal bekämpfen kann. Denn jedes bedürftigkeitsgeprüfte System geht mit verdeckter Armut einher, die dadurch entsteht, dass ein Teil der Bedürftigen aus Stolz, Scham oder anderen Gründen freiwillig auf die Beantragung der ihnen eigentlich zustehenden Grundsicherung verzichtet. Daher kann einzig und allein ein BGE als Grundsicherung in existenzsichernder Höhe Armut radikal eliminieren. VertreterInnen der bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung nehmen hingegen verdeckte Armut in Kauf.

Daher müsste hier die eigentliche Frage vielmehr lauten: Wollen wir eine Gesellschaft, in der jede und jeder dank BGE automatisch ein Leben jenseits von Armut führen kann oder lieber eine Gesellschaft, in der nur diejenigen ein armutsfreies Leben führen können, welche sich auf Antrag einer gegenüber heute „menschlicher“ gestalteten Bedürftigkeitsprüfung durch eine Behörde unterziehen?

Aber sie gehen sogar noch einen Schritt weiter, streiten die dekommodifizierende Wirkung eines BGEs ab, und geben diese indirekt jedoch zu, indem sie die Befürchtung äußern, dass die Arbeiterklasse durchs BGE so sehr zufrieden gestellt wird, dass sie auf einmal keine Lust mehr auf weitere Veränderungen hätte. Sollen wir daher lieber die Ausgebeuteten und Schwächsten der Gesellschaft bis in alle Ewigkeit dahin vegetieren lassen und auf einen Sankt-Nimmerleinstag warten an dem sich ein kollektives revolutionäres Einheitsbewusstsein der Arbeiterklasse herausgebildet hat?

Wir verneinen dies, da es reichlich zynisch und menschenverachtend klingt, die Menschen heute lieber menschenunwürdig verhungern zu lassen, damit irgendwann vielleicht einmal ein Sozialismus entstehen wird, in dem alles gut und besser sein wird. Die Menschen wählen unsere Partei wohl sicher nicht, damit wir solange keinerlei Verbesserungen für sie durchsetzen, bis wir als Großpartei die „Macht“ übernommen haben und die Betriebe verstaatlicht haben, sondern weil sie ihre Situation auch schon im Heute verbessert und verändert haben möchten.

Zudem stellt sich für uns die Frage, wie es durch Verelendung der Arbeiterklasse unter den heutigen globalen und nationalstaatlichen Rahmenbedingungen und in einer stark individualisierten Gesellschaft passieren soll, dass sich das von den AutorInnen so sehr herbei gesehnte kollektive Einheitsbewusstsein der Arbeiterklasse entwickelt. Die Welt hat sich in den letzten hundertfünfzig Jahren verändert, daher sollten die Konzepte und Strategien der Linken auch der heutigen Zeit entsprechen.

Beim Lesen des Textes ist bei uns der Eindruck entstanden, dass die AutorInnen nicht einen zeitgemäßen demokratischen Sozialismus wollen, sondern zurück zum ineffizienten und autoritären Realsozialismus à la DDR, in dem obrigkeitsstaatlich die Menschen zu ihrem angeblichen Glück gezwungen werden. Der Gedanke, dass der Mensch auch aus freiem Willen und in Freiheit dazu in der Lage sein könnte, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten und zu bewahren, scheint den AutorInnen wohl vollkommen fremd zu sein.

Im Verlauf Ihrer Argumentation wird versucht, künstlich unzählige Unterschiede zwischen linken BGE-Befürwortenden und anderen SozialistInnen zu generieren, indem suggestiv unterstellt wird, dass Linke nur die Wahl haben zwischen einem BGE oder den Forderungen der AutorInnen, weil, so die Verfasser des Textes, sich das BGE angeblich mit fast allem Ihren Forderungen beißt. So stellen sie ihre Forderungen auf, und versuchen, überwiegend durch konstruierte Behauptungen, zu zeigen, dass sich ihre Forderungen mit einem BGE nicht vertragen. In Teilen skizzieren und interpretieren sie leider auch die Forderungen linker BGE-Befürwortender, wie es ihnen gerade passt, nicht jedoch so, wie wir als linke BGE-Befürwortende wirklich argumentieren.

Wir hingegen sind überzeugt, dass sich das BGE problemlos als Baustein in ein sozialistisches Gesamtkonzept integrieren ließe. Sozialismus muss jedoch demokratisch und libertär sein und nicht autoritär wie der „Sozialismusversuch“, den wir in der Vergangenheit hatten.

Daher ist die eigentliche Frage, um die es in dieser Debatte gehen müsste nicht, BGE oder Sozialismus, sondern: Welchen Sozialismus wollen wir?

Und genau hier manifestieren sich die Unterschiede zwischen uns und den AutorInnen. In ihrer Kritik stellen die AutorInnen und Autoren jedoch im Gegensatz zu anderen KritikerInnen und Kritikern auch Alternativen vor, die ihrer Ansicht nach viel besser als das BGE geeignet sein sollen, die Probleme, die das BGE bekämpfen will, zu lösen. Doch wie immer sollen die Betroffenen auf eine „goldene Zukunft“ vertröstet werden, die ihnen versprochen wird, wenn DIE LINKE unter ihrer Führung erst einmal die Macht ergriffen hat und dann alle Probleme für die Menschen lösen wird. Daher möchten wir Im Folgenden die grundlegenden Forderungen der AutorInnen zitieren und diesen unsere eigenen Forderungen als BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE gegenüber stellen.

Der Lesende kann so selbst entscheiden, was ihm erstrebenswerter und sinnvoller erscheint.

Argument 1: Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen muss niemand mehr in entwürdigender Art und Weise um soziale Unterstützung betteln und der Verwaltungsapparat würde reduziert, denn das Grundeinkommen steht allen ohne Prüfung oder Vorleistungen zu.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Um diese Situation zu ändern, müssen schnellstmöglich höhere Bedarfssätze und ein wesentlich einfacheres Antragsverfahren her, in dem Diskriminierung und die Schnüffelei der Ämter keinen Platz haben und die Verantwortung für den Lebensunterhalt nicht mehr auf Angehörige abgeschoben wird. Hierfür tritt die Linke mit ihrer Forderung nach einer repressionsfreien und bedarfsdeckenden Grundsicherung aktiv ein. Neben höheren Bedarfssätzen gehören auch umfassende Unterstützungsleistungen für Bedürftige zu einem solchen Modell - beispielsweise indem Weiterbildungsmaßnahmen vermittelt, Schuldnerberatung angeboten oder Therapiemöglichkeiten aufgezeigt werden. Wir brauchen eine repressionsfreie öffentliche Unterstützungsstruktur, die für die Menschen da ist, sie darin unterstützt, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und ihnen ermöglicht, dieses mitzugestalten.

BAG - GE: „Bedarfsorientierte Grundsicherung“ bedeutet doch nur mit anderen Worten Hartz IV light. Wie eine repressionsfreie und bedarfsdeckende Grundsicherung ohne Diskriminierung und Schnüffelei der Ämter allerdings aussehen soll, das sagen sie uns leider nicht. Wie soll denn geprüft werden, ob tatsächlich ein Anspruch besteht? Ist denn nicht schon eine Antragstellung an sich eine Diskriminierung? Und was hindert jemanden denn daran, die Grundsicherung zu beantragen, wenn sie oder er einfach keine Lust zum Arbeiten haben, oder mit anderen Worten sich ausbeuten zu lassen, wenn diese Grundsicherung tatsächlich „repressionsfrei“ und bedarfsdeckend gewährt wird?

Nur das BGE ist doch eine wirklich repressionsfreie und bedarfsdeckende Grundsicherung. In den anderen Punkten können wir nur zustimmen. Unser Lösungsansatz hierfür unterscheidet sich jedoch von dem der AutorInnen. Denn wir glauben, ein BGE plus eine aktive, auf Freiwilligkeit setzende und auf die Bedürfnisse der von Erwerbslosigkeit Betroffenen zugeschnittene Arbeitsmarktpolitik liefert die bestmögliche Basis zur Realisierung dieser Forderungen.

Argument 2: Das bedingungslose Grundeinkommen löst endlich die alles beherrschende Fixierung auf Erwerbsarbeit auf, weil es von der Erwerbsarbeit entkoppelt ist.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Ein linker Ansatz muss darauf orientieren, für eine qualitativ hochwertige Arbeit zu streiten, mit der sich die Menschen identifizieren und mit der sie sich selbstbestimmt und gleichberechtigt in die Gesellschaft einbringen können. Gemeinsam mit linken GewerkschaftlerInnen setzen wir der kapitalistischen Ausbeutung das Leitbild guter Arbeit entgegen. Es geht uns nicht darum, endlich nicht mehr von der Arbeitsgesellschaft zu reden, sondern diese von links neu zu entwerfen und radikal zu verändern.

BAG - GE : Für mehr qualitativ hochwertige und menschenwürdige Arbeit streiten wir gerne. Wir wollen aber keine neue linke Arbeitsgesellschaft, sondern eine Gesellschaft, in der jede und jeder so wenig wie nötig arbeiten muss, wobei jedoch die gesellschaftlich notwendige Arbeit und mehr Arbeit am Menschen geleistet wird, und ebenso die Bedürfnisse der Menschen durch eine ausreichende Produktion befriedigt werden. Doch das geht dank technischem Fortschritt und einer anderen Organisation der Arbeitswelt künftig mit weit weniger gesamtgesellschaftlichem Arbeitspensum als heute, und darauf müssen wir beizeiten reagieren. Wir wollen mehr Zeit für Muße, sinnstiftende Tätigkeiten und Freizeit für alle, nicht mehr Arbeit um jeden Preis, damit die Menschen beschäftigt sind! 

Den AutorInnen scheint die marxsche Dialektik von "Befreiung in der Arbeit" und "Befreiung von der Arbeit" noch nicht ganz aufgegangen zu sein. Und noch etwas: Wer von Hartz IV, Niedriglohn oder prekären Arbeitsverhältnissen betroffen ist, kann allerdings nicht darauf warten, bis „die Arbeitsgesellschaft neu entworfen und radikal verändert“ worden ist.

Argument 3: Das bedingungslose Grundeinkommen ist die richtige und erforderliche Antwort auf das Problem der Massenarbeitslosigkeit, denn wenn die Arbeit ausgeht, macht es keinen Sinn krampfhaft zu versuchen, Menschen in Beschäftigung zu bringen.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Sinnvoll ist es, die Arbeit durch massive Arbeitszeitverkürzungen auf mehr Schultern zu verteilen und damit allen sowohl Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen als auch zunehmend frei verfügbare Zeit zu geben.

Die Linke streitet für eine Gesellschaft, in der sich alle einbringen können, in der demokratisch über die Ausrichtung der Produktion entschieden und somit über die Arbeit wiederum gesellschaftlicher Fortschritt befördert wird.

BAG - GE : Auch wir fordern radikale Arbeitszeitverkürzung und eine Gesellschaft, in der jedeR selbstbestimmt und in freier Berufswahl am Erwerbsleben partizipieren kann. Daher lehnen wir sowohl den Zwang zur Erwerbsarbeit als auch den Zwang zur Erwerbslosigkeit ab! Wir wollen die Wirtschaft und die Gesellschaft demokratisieren. Das heißt aber für uns auch, die Arbeitswelt von „unten“ organisieren, nicht durch zentralistisches Planen von „oben“. Aber was machen wir bis dahin? Wir haben nach wie vor kapitalistische Produktionsbedingungen, die Spaltung des Proletariats in Arbeitsplatzbesitzende und Erwerbslose sowie Ausbeutung und Unterdrückung. Wie sollen denn diese Forderungen ohne gewaltsame Revolution durchgesetzt werden? Als transformatorischer Prozess wäre das allerdings mit dem BGE möglich.

Argument 4: Das bedingungslose Grundeinkommen stärkt die Position der lohnabhängig Beschäftigten, weil niemand mehr gezwungen ist, schlechte Arbeit anzunehmen.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Wir dürfen nicht das Ziel einer Gesellschaft aus den Augen verlieren, die allen Menschen gute Arbeit ermöglicht.

BAG - GE : Ist das vielleicht der Grund, warum Tarifabschlüsse immer mehr zu Ungunsten der lohnabhängig Beschäftigten ausfallen und die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden? Bei solchen „Drohungen“ werden sich die Unternehmerinnen und Unternehmer schlapp lachen! Übrigens: Das BGE-Konzept ist gerade eine Form der Durchsetzung guter Arbeit, weil die existenzielle Erpressbarkeit der Lohnabhängigen aufgehoben wird.

Argument 5: Das bedingungslose Grundeinkommen stoppt destruktive Arbeit, denn die Menschen werden sich ihr verweigern und sich stattdessen um gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten bemühen.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Das wird so leider nicht funktionieren. Auch wenn beispielsweise ein Arbeiter, der sich seinen Lebensunterhalt mit der Abholzung des Regenwaldes verdient, aufhört zu arbeiten, stattdessen fröhlich pfeifend im Wald spazieren geht und sich mit dem Grundeinkommen zufrieden gibt, wird das kapitalistische System ungerührt weiterhin auf Profitmaximierung orientieren – und sich einen neuen Arbeiter suchen. Dies wird solange möglich sein, wie sich für die entsprechenden Produkte zahlende KundInnen finden.

Um grundlegende Veränderungen zu erreichen, müssen wir die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, ökologische Mindeststandards und gesellschaftlich verantwortungsvolle Forschung und Wissenschaft als erste Schritte einfordern, um zu einer sozialen und demokratischen Entwicklung der Gesellschaft zu gelangen.

BAG - GE : Wir glauben nicht, dass gerade die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien am Anfang einer gesellschaftlichen und ökonomischen Transformation stehen muss. Es könnte beispielsweise ja auch ein BGE eingeführt und parallel dazu Betriebe vergesellschaftet werden. Oder zuerst ein BGE eingeführt und dann weitere Schritte unternommen werden. Werktätige sollen auch autonom in Genossenschaften tätig sein und ihre Betriebe selbst verwalten und führen können.

Grundsätzlich scheint uns, dass die AutorInnen sich offensichtlich noch nicht mit der Verstaatlichung im real existierenden Sozialismus auseinandergesetzt haben. Da war sogar der Sozialdemokrat Oskar Lafontaine schon 1989 weiter als unsere sich antikapitalistisch gebenden AutorInnen: "Die Erfahrung mit dem 'real existierenden Sozialismus' lehrt indes, dass sich die Menschen nicht freier und glücklicher fühlen, wenn an Stelle der privaten die gesellschaftliche, genauer gesagt, die staatliche Aneignung tritt."

Und wer sich mit dem Marx-Thema Arbeit und Entfremdung auseinandergesetzt hat, weiß, dass die Frage der Aneignung der Produktionsbedingungen (der differenziertere Begriff als Eigentumsfrage) natürlich weit über die Verstaatlichung und materielle Produktion hinausgeht – sondern alle gesellschaftlichen Herrschaftsformen umgreift – auch kulturelle und Herrschaft über Bedürfnisse – Stichwort Regenwaldabholzung.

Ein linker Grundeinkommensbefürworter, André Gorz, bringt das so auf den Punkt: "Der politische Inhalt des Konflikts zwischen Kapital und lebendiger Arbeit liegt (…) auf der Ebene von Produktionsentscheidungen, also der inhaltlichen Bestimmung von Bedürfnissen und der Art und Weise ihrer Befriedigung. Letztlich geht es um die Macht, über den Zweck und die gesellschaftliche Verwendung der Produktion zu entscheiden, das heißt, über die Art und Weise des Konsums, zu welchem sie bestimmt ist, und über die sozialen Beziehungen, die diese Art des Konsums festlegt."

Argument 6: Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen hat jeder die Möglichkeit, sich frei und selbstbestimmt zu entfalten, denn der Rechtsanspruch auf einen monatlichen Pauschalbetrag bietet die dafür erforderlichen finanziellen und zeitlichen Freiräume sowie die notwendige Sicherheit.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Wenn wir für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen eintreten, müssen wir ihnen auch eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Jeder Mensch hat ein Recht auf freie Berufswahl und muss die Möglichkeit erhalten, seinen Interessen und Neigungen entsprechend im Arbeitsleben wirken zu können.

BAG - GE : Gerade diese Forderung wird durch ein BGE maximal garantiert! Aber was ist, wenn jemand keine Lust hat, im Arbeitsleben am Fließband zu stehen oder den Müll abzuholen? Zur freien Entwicklung der Persönlichkeit gehört eben mehr als das „Arbeitsleben“. Der Mensch arbeitet schließlich nur um zu leben, aber er lebt nicht nur um zu arbeiten!

Argument 7: Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine "Demokratiepauschale", denn politisches Engagement und gesellschaftliche Teilhabe sind ohne eine entsprechende finanzielle Unterstützung nicht zu realisieren.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Ziel muss es sein, die herrschenden Kräfteverhältnisse umzuwerfen und eine demokratische, auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtete Gestaltung der Wirtschaft zu erreichen. Ziel der Linken bleibt die kollektive gesellschaftliche Emanzipation. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der die freie Entfaltung des einzelnen die Voraussetzung für die freie Entfaltung aller ist. Lasst uns die Eigentumsfrage stellen!

BAG - GE : Gerne, aber mit dem BGE geht das doch viel einfacher! Auch wir stellen die Eigentumsfrage, und die Wirtschaftsdemokratie gehört seit dem Bestehen unserer Arbeitsgemeinschaft neben BGE und Mindestlohn zu den zentralen Forderungen. Doch fällt bei vielen von uns die Antwort etwas differenzierter aus als bei den AutorInnen. Auch gibt es weit mehr Formen kollektiven Eigentums an Produktionsmitteln als verstaatlichte Betriebe.

Viele von uns finden Betriebe in den Händen der dann nicht mehr Lohnabhängigen sondern Werktätigen als eine bessere Lösung als verstaatlichte Betriebe, wie sie im Realsozialismus zuhauf existiert haben. Wirtschaft muss von „unten“ organisiert werden und darf nicht an den Bedürfnissen der Werktätigen und KonsumentInnen vorbei gehen. Daher beschäftigen wir uns nicht umsonst auch intensiver mit dem Thema Solidarische Ökonomie, nicht jedoch mit dem Thema zentralistische Planwirtschaft.

Schließlich ist mit der Eigentums- und Aneignungsfrage für viele von uns auch die Frage nach der demokratischen Organisation der Gesellschaft und der Emanzipation des Individuums von jeglicher Herrschaft selbst verbunden. Mit einer bloßen Verstaatlichung von Betrieben ist genauso wenig erreicht wie mit dem bloßen Ersetzen der herrschenden Klasse der KapitalistInnen durch eine Klasse bürokratischer Funktionäre, welche obrigkeitsstaatlich die Arbeiterklasse an Stelle der alten „Herren“ ausbeutet.

Übrigens: Auch eine noch so demokratisch organisierte Gesellschaft bzw. Wirtschaft hat nicht das Recht, dem Menschen seine Existenzsicherung und Teilhabemöglichkeit zu verwehren – und genau dieses Menschenrecht fordern wir als Linke mit einem BGE ein. Wie das von den AutorInnen nicht ganz korrekt Wiedergegebene von Marx und Engels in der Tat meint: Keine kollektive Emanzipation ohne die Voraussetzung der individuellen Emanzipation. Der Vorrang des Kollektiven vor dem Individuum hat zu den schlimmsten Auswirkungen in der Geschichte, auch des "Sozialismus", geführt – dessen sind sich die AutorInnen offensichtlich nicht bewusst.

Argument 8: Das bedingungslose Grundeinkommen verringert die Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern, weil sie von diesen nicht mehr finanziell abhängig sind, sondern über ein eigenes Einkommen verfügen.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Das Grundeinkommen könnte aber leicht als eine Art Herdprämie wirken, die lediglich höher ausfällt als die jetzt von Stoiber & Co. geforderte, und geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen damit sogar noch verstärken. Wir müssen stattdessen für Bedingungen eintreten, unter denen Kinderbetreuung und zufriedenstellende berufliche Tätigkeit kein Widerspruch mehr sind.

Dafür müssen tradierte Stereotype und patriarchale Unterdrückungsmuster überwunden werden.

Hierzu gehört die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit genauso wie eine gezielte Förderung des Berufseinstiegs von Frauen nach einer Familienphase, der Ausbau öffentlicher Infrastruktur für Kinderbetreuung und Frauenquoten, um eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erreichen.

BAG - GE : Hier können wir allerdings keinen relevanten Unterschied zu unseren eigenen Positionen erkennen, außer dass es zusätzlich das BGE gibt! Damit könnten nicht nur Frauen - sondern auch Männer - selbst entscheiden, was sie tun wollen. Aber das Grundeinkommen als Herdprämie zu deklassieren, halten wir für unsinnig und konstruiert.

Da jedoch alle das BGE geschlechtsunabhängig bekommen und auch die Erwerbsarbeitenden selbst, ist es reichlich unrealistisch, dass gerade Frauen dann lieber daheim bleiben wollen, da es ökonomisch keinerlei spezifische Anreize mehr gibt, daheim zu bleiben. Zum Leben gehört außerdem mehr als nur Erwerbsarbeit!

Argument 9: Das bedingungslose Grundeinkommen sichert allen ein „Recht auf Faulheit“, denn alle erhalten ohne irgendwelche Bedingungen einen monatlichen Pauschalbetrag, der zum Leben ausreicht.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Die Arbeitsbedingungen des Einzelnen sind dann am besten, wenn alle gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen. Und alle Menschen können dann die meiste Freizeit haben, wenn die Arbeit gleichmäßig auf alle Schultern verteilt ist.

BAG - GE : Wir sind nun einmal nicht alle gleich. Und ob wirklich notwendige und sinnvolle Arbeit im Arbeitsleben stattfindet oder noch ganz wo anders, wollen wir hier nicht diskutieren. Aber wir finden es ganz toll, dass wir dann alle auch ab und zu einmal anstelle von Frau Cornelia Hirsch (MdB) im Bundestag sitzen dürfen, während sie unsere Arbeit macht, wenn sie das mit dem „die Arbeit gleichmäßig auf alle Schultern verteilen“ wirklich ernst meint. Wenn das aber bedeutet, sie kassiert weiter ihre nicht gerade mickrigen Diäten und reist auf unsere Kosten in der Weltgeschichte herum, und andere dürfen für einen Mindestlohn ihren Müll wegräumen, dann finden wir das nicht gerade berauschend.

Argument 10: Das bedingungslose Grundeinkommen wirkt als trojanisches Pferd im Kapitalismus, denn wenn sich alle der herrschenden Ausbeutung entziehen, stürzt das System zwangsläufig zusammen.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Zur Überwindung des Kapitalismus und zur Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft kommt es erst dann, wenn die lohnabhängig Beschäftigten im gemeinsamen Klassenbewusstsein die Macht über die Betriebe und damit über Produktion und Produktionsmittel selbst übernehmen.

BAG - GE : Sollen wir warten, bis die Damen und Herren Revolutionäre durch ihr Geschwätz von der „guten Arbeit“ irgendwann das „gemeinsame Klassenbewußtsein“ geschaffen haben und an der Spitze der lohnabhängig Beschäftigten, die inzwischen nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, die Macht ergreifen?

Vielleicht ist es aber ja gerade das BGE, das dieses Klassenbewußtsein schaffen könnte, indem wir endlich begreifen, dass es reicht ein Mensch zu sein, und wir nicht mehr nur danach beurteilt werden, wie viel Geld wir durch Erwerbsarbeit verdienen. Wie sagte schon Friedrich Engels? „Jede Gesellschaftsform geht mit der sie ablösenden schwanger.“

Und wie schon oben angedeutet: Die Aneignungsfrage ist differenzierter zu stellen. Das kann man am Thema Dresdner Waldschlösschenbrücke gut darstellen: Die lohnabhängig Beschäftigten der Baubetriebe sind aus existenziellen Gründen ganz scharf darauf, den Betonklotz in die Landschaft zu setzen – der u. a. den lohnabhängig Beschäftigten, die gern schnell von A nach B zur Arbeit oder privat Auto fahren, zu Diensten ist. Profiliert dagegen haben sich Menschen (auch Lohnabhängige), denen die Lebens- und Kulturqualität einer Großstadt am Herzen liegt – nicht die Lohnabhängigen in den Baubetrieben. Die platte Reduktion der Aneignungsfrage auf die lohnabhängig Beschäftigten in den Betrieben ist mehr als undifferenziert.

Auch die reale Entwicklung und soziologische Debatte um die Ausdifferenzierung von Klassen und Klassenbewusstsein scheint an den AutorInnen vollkommen vorbei gegangen zu sein. Wir fühlen uns in ein parteilehrjahrhaftes Phrasendreschen zurückversetzt – sagen gelernte Ostdeutsche in der BAG Grundeinkommen zu dem Papier der AutorInnen.

Argument 11: Es gibt unterschiedliche Modelle des bedingungslosen Grundeinkommens. Die Linke muss neoliberal geprägte Modelle wie z.B. das Bürgergeldkonzept von Althaus ablehnen und stattdessen mit einem eigenen Konzept in die Offensive gehen.

Lösung Hirsch, Blättermann, Staak und Witt: Alle Grundeinkommens-Modelle haben gemeinsam, dass sie Wasser auf die Mühlen all derjenigen sind, die Kombilohnmodelle predigen, weitere Flexibilisierungen auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen und Sozialabbau vorantreiben wollen. Mit linken Alternativen hat all das wenig zu tun. Verdeutlichen lässt sich die Unvereinbarkeit linker Konzepte mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zum Beispiel beim Mindestlohn. Durch die Einführung eines verbindlichen Mindestlohnes wollen wir sicherstellen, dass jeder der arbeitet, von seinem Lohn auch leben kann. Gleichzeitig verhindern Mindestlöhne, dass ArbeitnehmerInnen über Grenzen hinweg gegeneinander ausgespielt werden und schieben damit Lohndumping einen Riegel vor.

Für die Gewerkschaften ist klar: Die Verantwortung dafür, dass Arbeit existenzsichernd ist, liegt bei den ArbeitgeberInnen.

BAG - GE : Offensichtlich ist den AutorInnen die linke und humanistisch-sozialistische Tradition der Grundeinkommensdebatte nicht bekannt. Bedauerlich, aber kein Grund Unwahrheiten in die Welt zu setzen.

Und wieso soll der Mindestlohn unvereinbar mit dem BGE sein? Erstens hat das BGE selbst einen nicht zu unterschätzenden Mindestlohneffekt. Zweitens gehört zum Konzept des BGE der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE auch ein existenzsichernder, gesetzlicher Mindeststundenlohn (somit sind übrigens Niedrig- bzw. Kombilohnstrategien abgewehrt) sowie eine Verkürzung der Arbeitszeit. Und wer keine Lohnarbeit hat, dem nützt ein Mindestlohn gar nichts!

Mit dem BGE könnten diejenigen, die keinen Vollzeit-Arbeitsplatz haben, sich wenigstens erst einmal genug zu essen kaufen, am sozialen Leben teilhaben, auf gleicher Augenhöhe mit ihren potenziellen Ausbeuterinnen und Ausbeutern über die Arbeitsbedingungen verhandeln.

Vollzeitarbeitende können auch die durchschnittliche Arbeitszeit verkürzen – so hat es übrigens Michael Sommer mit seinem Plädoyer für ein Grundeinkommen bei Arbeitszeitverkürzung vor Jahren sehr gut dargestellt.

Anstatt dass einige bis zum Umfallen Überstunden machen, während andere als Ausgegrenzte vor Langeweile, Scham und Armut in Depression verfallen und zu Drogen greifen, weil ihre Mitmenschen ihnen dauernd einzureden versuchen, dass sie minderwertig sind, solange sie keine bezahlte Arbeit haben.

Und die Verantwortung dafür, dass Arbeit (nicht) existenzsichernd bezahlt wird und Arbeitszeiten verlängert statt verkürzt werden, liegt doch wohl bei den Gewerkschaften und nicht den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Wer hat denn diese Tarifverträge abgeschlossen?

Wir glauben, dass die AutorInnen glauben, ihre Vorstellungen von linker Politik sei die alleinig wahre Vorstellung. Weit gefehlt, GenossInnen!

Wir fragen die AutorInnen:

Wo ist nun die Unvereinbarkeit linker Konzepte mit unserem BGE geblieben?

Und wir antworten den AutorInnen:

Die Linke muss in der Tat die Machtfrage stellen. Aber bitte bedeutend differenzierter und ohne Anleihen bei autoritären Gesellschaftsmodellen!

Berlin, am 12.08.2007 Die SprecherInnen der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE:

Ann-Christin Schomburg,

Astrid Falkenroth,

Stefan Wolf,

Thomas Falkenroth,

Olaf Michael Ostertag,

Gerd Förthmann

 

Mehr Informationen zum bedingungslosen Grundeinkommen auf unserer Internetseite:

 

http://www.die-linke-grundeinkommen.de

 

V.i.S.d.P. : Stefan Wolf – Franz - Reichel - Ring 35 - 90473 Nürnberg – StefanWolf7@aol.com

 

www.Gesellschaft-und-Visionen.de

 

 
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