„Agenda Klassenkampf - wie lange hält der soziale Friede?“
Interview mit Heribert Prantl
Hörprotokoll der Sendung vom 09. März 2005 bei HR2 – „Der Tag“. Aufgeschrieben von E. Hesse und R. Spitzer
Eines Tages schlug das Huhn dem Schwein eine enge Zusammenarbeit vor. Das Huhn sprach also von Kooperation, es sprach von Fusion und es schwärmte von den Chancen, die darin stecken, nach einer gewissen Durststrecke am Anfang freilich. Das Schwein hörte sich schweigend an, was das Huhn zu sagen hatte und fragte dann, wie die Sache denn genau aussähe. Wir gründen die Firma Ham and Eggs, sagte das Huhn. Darauf das Schwein irritiert, du bist verrückt, das bedeutet doch meinen sicheren Tod. Das sei der Sinn einer Kooperation, bemerkte das Huhn trocken.
Mentzer: Diese Geschichte von Ham and Eggs haben wir dem neuen Buch von Heribert Prantl entnommen. “Kein schöner Land – die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit“, so der Titel. Heribert Prantl, hauptberuflicher Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“. Eigentlich müsste man die Geschichte ja noch weiter erzählen, das Huhn müsste doch eigentlich argumentieren: Wenn wir nicht kooperieren, dann gehen wir beide kaputt! Das ist die neoliberale Logik, nach der die Unternehmen alles auf die Renditekarte setzen. Was soll das arme Schwein da noch sagen?
Prantl: „Ja, das arme Schwein wird sagen, liebes Huhn, das ist Westernlogik. Stirb schneller, weil du hast eh keine Chance. Aber der Kritiker dieses neoliberalen Systems muss bezweifeln, dass es keine andere Chance gibt, er muss darauf hinweisen, dass es nicht Sinn und Zweck der Wirtschaft sein kann, nur auf die Aktiengewinne, nur auf die kurzfristigen Aktiengewinne zu schauen, nur auf den kurzfristigen Vorteil. Er wird darauf Wert legen müssen, dass der menschliche Faktor eine Rolle spielt, und dass es nicht nur darum geht, dem Aktionär alles hinten und vorne reinzuschieben. Also eine neue Betrachtung des Sinnes und Zwecks von Wirtschaften zu finden ist der Sinn der Kritik am Neoliberalismus.“
M: Dann wird das Huhn aber sagen: „Ja man muss sich den Sozialstaat eigentlich auch leisten können.“ Und das können wir momentan nicht. Nicht, wenn wir nicht genug Geld und Wirtschaftskraft wieder erwirtschaften. Was soll man da machen?
P: „Nun ja, der Sozialstaat ist ja nicht die Verkörperung von Sozialromantik. Der Sozialstaat ist auch nicht ein Staat, der sozusagen die Bürger in Windeln packt und sie sozusagen bestens versorgt und auf den Versicherungsfall wartet. Der Sozialstaat denke ich, ist einer, der es den Bürgern ermöglicht, selbstbestimmt zu leben. Für eine Demokratie, die sich wirklich als Demokratie versteht, ist es lebensnotwendig, dass der Bürger, der die Demokratie ausmacht, einigermaßen eine leidlich gesicherte ökonomisch gesicherte Existenz hat, dass man einigermaßen frei sein kann von Angst um die eigenen Lebensverhältnisse. Weil nur dann ist man Demokrat, einer der am demokratischen Prozess mitwirken kann. Ich versteh den Sozialstaat als die notwendige Ergänzung und das notwendige System neben der Demokratie, damit Demokratie wirklich vernünftig funktioniert und ich denke auch eine Wirtschaft kann in einem Staat, in dem es drunter und drüber geht, wenn der innere Frieden nicht mehr gewährleistet ist, nicht mehr vernünftig wirtschaften.“
M: Sie schreiben in Ihrem Buch Sozialstaat und Demokratie bilden eine Einheit und wer den Sozialstaat beerdigen wolle, der müsse gleich ein Doppelgrab bestellen. Da wird wahrscheinlich der Neoliberale gleich sagen: „Naja, man wolle ja nun nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, geschweige denn gleich beerdigen. Es sei nur so, dass der Sozialstaat einfach nur viel zu stark geworden wäre, und man müsse den um des Funktionierens der Gesellschaft und der Wirtschaft willen zurückschneiden.“
P: „ Na wenn’s nur so wäre, dass man überall zurückschneidet. Bei den Reformen der letzten Zeit hat man den Eindruck, Agenda 2010 und Hartz IV, es wird bei den Schwachen zurück geschnitten und bei denen mehr da ist, wird nichts gemacht. Um das System wieder funktionabel zu machen, muss was Ausgewogenes gemacht werden. Das System gegenwärtig, das Reformsystem geht auch davon aus, die Schwachen, die Arbeitslosen, die 5,2 Millionen Menschen, die keine Arbeit haben, das ein großer Teil von denen nur zu faul ist, zu arbeiten und zu bequem. Und das man dieser Bequemlichkeit ein bisschen nachhelfen muss. Und ich denke, das ist der große Fehler. Man wird mit diesen Mitteln und Methoden, die man jetzt betreibt, mit diesen massiven Einsparungen bei den sozial Schwachen keine neuen Arbeitsplätze schaffen, weil diese Arbeitsplätze im Bereich der Produktion nicht mehr da sind. Ich glaube man muss akzeptieren, als Reformgesellschaft, als Reformpolitik in einem bestimmten Bereich der Wirtschaft ist Arbeit tatsächlich weggefallen.
Eine Fabrik, die früher Tausend Leute hatte, macht jetzt mit 50 Leuten ein Vielfaches an Produkten, wie damals mit Tausend. Darauf muss man sich einstellen, man muss fragen, wo gibt es eigentlich noch Arbeit. Und ich denke, das ist die Grundüberlegung, die sich die Reformpolitik nicht richtig gestellt hat. Es gibt nämlich Arbeit, denke ich, im Bereich der sozialpolitischen, der Dinge im Bereich Schule, im Bereich Kindergarten, im Bereich Altersheime, überall dort, wo nicht produziert wird, sondern wo es um andere Dinge geht. Diese Arbeit, die da ist, und das weiß jeder, dass sie da ist und dass sie momentan nicht ausgeübt werden kann, weil kein Geld da ist. Dafür gilt Geld zu beschaffen. Und dann sind wir bei dem Punkt, wie man den privaten Reichtum angesichts öffentlicher Armut abschöpft.“
M: Sie schreiben auch, und da hake ich jetzt gleich nach, der Kapitalismus funktioniere zum ersten Mal in seiner Geschichte, so wie Marx es beschrieben habe. Das sagt Oskar Nick, Sie zitieren das zustimmend. Was sehen Sie jetzt als Folge dessen an? Stehen uns tatsächlich Verteilungskämpfe, wie sie diese eben beschrieben haben, richtige Klassenkämpfe ins Haus?
P: „Ich denke, dass es noch nie so leicht war, für die kapitalistische Wirtschaft zu argumentieren: Runterfahren, Runterfahren, Runterfahren! Ich kann darauf verweisen, dass ich mir die Arbeitskräfte auch woanders holen kann. Man hat einen globalen Markt, in dem man sich die Arbeitskräfte aussuchen kann. Es ist schwerer geworden, für die Arbeit gegen das Kapital zu argumentieren. Ich denke das ist die Schwierigkeit, die man auch bei reformerischen Bestrebungen in den letzten Jahren hat. Dabei muss man kapieren, dass man, wenn man dem Kapital völlig freie Bahn lässt, viel von dem, was uns an Demokratie wichtig ist, kaputt macht.“
M: Aber Sie haben eben gesagt, man müsste, um die Arbeit, die jetzt nicht selbst Geld produziert, sondern zum Beispiel wie in dem Bildungssektor, wo erst mal eine große Investition erforderlich ist, um diese finanzieren zu können. Dazu müssen wir den Reichtum in der Gesellschaft abschöpfen, haben Sie gesagt. Das werden sich die Reichen nicht gefallen lassen.
P: „Dafür ist eine Politik da, um gegebenenfalls auch Maßnahmen zu treffen, die für einen Teil der Gesellschaft unangenehm sind. Es ist ja nicht so, dass hier etwas besonders brutales und in der Verfassung so nicht vorgesehenes gemacht würde, im Artikel 14, Absatz 2 heißt es, Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich zum Wohl der Allgemeinheit dienen. Das ist kein Satz aus dem Kommunistischen Manifest und keiner aus irgendwelchen abstrusen Manifesten. Das ist ein Satz, des Grundgesetzes. Der, und darauf hat das Bundesverfassungsgericht im Übrigen immer wieder hingewiesen. Der im Grundgesetz steht und der vielleicht bislang ein bisschen wenig Beachtung gefunden hat.“
M: Trotzdem sehen wir momentan weit und breit keine Protestbewegung die z.B. das Grundgesetz in der Tasche hätte und genauso etwas fordern würde. Warum sind z.B. die Hartz IV Demonstrationen – ja ziemlich wirkungslos verpufft?
P: „Ich denke, dass hier der Eindruck erweckt wurde, hier ist eine bestimmte Klientel am Protestieren. Man hat auch eine große Unsicherheit bei den Arbeitslosen, die sagen, vielleicht ist doch irgend etwas dran an dem derzeitigen Mainstream, dass wir uns leichter machen müssen, dass wir den Gürtel noch enger schnallen müssen. Ich denke, diese 5,2 Millionen Arbeitslosen haben für eine gigantische Verunsicherung gesorgt. Auch, und gerade bei denen, denen geholfen werden müsste. Wer arbeitslos ist, der verliert auch das Selbstbewusstsein. Zum Demonstrieren gehört Selbstbewusstsein.“
M: Herr Prantl, Ihre Prognose am Schluss. Ist der soziale Friede noch zu retten in der Bundesrepublik?
P: „Ich denke er ist zu retten, wenn man auf die Vorgaben, wie sie das Grundgesetz durchaus vertritt, besser achtet. Ich denke, man hat zu lange nur vom Standort geredet und zuwenig von den Menschen, die an diesem Standort leben.“
M: Vielen Dank, das war Heribert Prandl, Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“. Sein wirklich sehr gut und leicht zu lesendes Buch „Kein schöner Land“ ist zum Preis von 12,90 € im Drömer Verlag erschienen.
Zur Person:
Dr. Heribert Prantl
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geboren 1953 in Nittenau/Oberpfalz
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Studium der Philosophie, der Geschichte und der Rechtswissenschaften
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Erstes und Zweites Juristisches Staatsexamen, juristische Promotion bei Professor Dr. Dieter Schwab in Regensburg, juristisches Referendariat
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Parallel dazu journalistische Ausbildung
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von 1981 bis Ende 1987 Richter an verschiedenen bayerischen Amts- und Landgerichten sowie Staatsanwalt
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seit 1988 politischer Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung
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zunächst innenpolitischer Kommentator und innenpolitischer Redakteur mit Schwerpunkt Rechtspolitik
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1992 Leitender Redakteur
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seit 1992 stellvertretender Ressortleiter, seit 1995 Chef des Ressorts Innenpolitik
Quelle: www.bpb.de
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